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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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zwar nicht zu
versklaven, unsere Freiheit gaben sie uns aber auch nicht. Wir bekamen weder
das versprochene Land noch eine andere Möglichkeit, eigenständig für uns sorgen
zu können. Wir hingen völlig von ihnen ab und mussten uns unser Essen, das
Material und die Werkzeuge zur Errichtung unserer Unterkünfte mit unserer
Arbeit für sie verdienen. Sie bestimmten die Regeln, nach denen wir lebten.
    »Sie haben uns in
Neuschottland betrogen, und jetzt tun sie’s erneut hier im Land unserer
Vorfahren«, sagte Peters zu einer Gruppe, die sich in Daddy Moses’ Kirche
getroffen hatte.
    »Gebt ihnen Zeit«,
sagte Daddy Moses. »Wir sind noch nicht frei, aber wir bewegen uns darauf zu.«
    Ich war wie Peters
enttäuscht darüber, dass wir immer noch von den Engländern kontrolliert wurden,
wurde deswegen aber nicht von Wut zerfressen. Ich glaubte, dass Daddy Moses
recht hatte: Wir kamen der Freiheit mit jedem Tag einen Schritt näher. Aber ich
hatte auch andere Dinge im Kopf, Freetown war für mich nicht mehr als ein
Sprungbrett.
    Vor der Abfahrt aus
Halifax hatte ich mir vorgestellt, dass sich die Kolonie, die wir hier
errichten wollten, in die afrikanischen Siedlungen einfügen und ich kaum mehr
Europäer sehen würde. Wie sich nun aber herausstellte, kamen die Temne zwar
jeden Tag, um mit uns zu handeln, luden uns jedoch nicht in ihre Dörfer ein.
Dafür fuhr ein stetiger Strom von Handels-, Versorgungs- und Schlachtschiffen
die afrikanische Küste entlang und brachte ständig neue Seeleute nach Freetown.
Am Anfang hatte ich Angst, die durchkommenden Sklavenhändler könnten versuchen,
die Neuschottländer Freetowns erneut in Ketten zu legen, und sprach mit
Clarkson darüber.
    »Wir sind besser
beraten, sie zu dulden und sich vergnügen zu lassen, als sie aus der Stadt
auszusperren und ihren Zorn auf uns zu ziehen«, sagte er.
    »Sie bereiten den
Neuschottländern aber Unwohlsein«, sagte ich, »und ich persönlich bin auch
nicht gerade froh über sie.«
    »Was sollen wir denn
tun?«, sagte Clarkson. »Die Seeleute nach den Schiffen unterscheiden, mit denen
sie kommen?«
    »Sie handeln mit
Sklaven«, sagte ich.
    »Nicht hier in
Freetown.«
    »Was macht Sie da so
sicher?«
    »Auf Bance Island
können sie so viele Sklaven bekommen, wie sie wollen. Hier bei uns Menschen zu
verschleppen, wäre schwierig und würde Probleme bereiten, und das wollen sie
nicht. Hier wollen sie nur trinken und feiern. Auf Bance Island machen sie ihre
Geschäfte, hier haben sie ihren Spaß.«
    Eine Zeit
lang teilte ich mir meine Unterkunft mit einer Frau namens Debra Stockman, die
bei unserer Abfahrt aus Halifax schwanger gewesen und deren Mann auf der Reise
gestorben war. Ich half Debra mehrere Monate nach unserer Ankunft bei der
Geburt und zeigte ihr, wie sie sich das Baby auf afrikanische Weise auf den
Rücken band. Ich erklärte ihr auch, wie sie die Spannung in den Beinen und dem
Po ihrer Kleinen spüren konnte. Dann galt es, sie loszubinden, von ihren
Tüchern zu befreien und ihr Geschäft machen zu lassen.
    Debra eröffnete schon
bald einen Laden, in dem sie den durchkommenden Seeleuten Andenken und
Kuriositäten verkaufte. Mit meiner Hilfe als Dolmetscherin kaufte Debra
Skulpturen, Masken, Zeremonienmesser, kleine geschnitzte Elefanten, Halsketten
und Elfenbeinarmreife von den Temne und verkaufte sie mit Gewinn an Seeleute,
die ein Souvenir mit nach England bringen wollten. Am besten verkauften sich
kleine, aus Gabanholz geschnitzte Figuren. Das dunkle, rotbraune Holz gefiel
den Männern. Debra polierte die Figuren mit Palmöl – kleine Elefanten,
Krokodile und Äffchen. Wobei die Seeleute den Skulpturen junger, barbusiger
Frauen am wenigsten zu widerstehen vermochten. Nur selten konnten sie mit
Silbermünzen zahlen, stattdessen gaben sie Debra Rum, eiserne Töpfe, kleine
Kessel, Eisenbarren oder Kleider aus England, und die konnte Debra bei den
Temne gegen Lebensmittel, Feuerholz oder Hilfe beim Bauen eintauschen. Die
Temne lernten schnell, wie sich die hölzernen, mitunter sogar zweistöckigen
Häuser bauen ließen, die den Siedlern so gut gefielen, und so kam es, dass
Debra und ihre Tochter Caroline bald schon ihr eigenes Heim besaßen und ein
gutes Auskommen hatten.
    Abgesehen vom Handel
mit den Temne und den durchkommenden Seeleuten hingen wir von den Lieferungen
der Sierra Leone Packet ab, einem zwischen Freetown und England pendelnden Schiff der Company.
    Eines Tages
versammelten sich wieder einmal ein paar Hundert von uns auf

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