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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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in unserem Dorf: ›Hüte dich vor dem schlauen Mann, der das Falsche
richtig erscheinen lässt.‹«
    »Ich kann mir genau
vorstellen, was die Geschäftsleute in Liverpool darauf antworten würden«, sagte
sie.
    »In Liverpool?«
    »Da führen die meisten
Sklavenhändler in England ihre Geschäfte. Sie würden fragen, ob Sie mit mir so
debattieren könnten oder ob Sie all die Bücher gelesen hätten, wären Sie nicht
erst einmal versklavt worden. War das nicht Ihre Rettung? Sind Sie keine Christin?«
    »Nicht wirklich«, sagte
ich und war froh über den Themawechsel. »Ich gehe in die Kirche, um mit meinen
Leuten zusammen zu sein, aber ich kann nicht sagen, dass ich eine Christin
wäre.«
    Anna Maria verfiel in
ein unangenehmes Schweigen. Ich erwartete, dass sie anfangen würde, den
zivilisierenden Einfluss der anglikanischen Kirche zu preisen, doch stattdessen
beugte sie sich vor, berührte meine Hand und sagte: »Ich glaube, es gibt hier
keinen einzigen höheren Vertreter der Company, oder einen der Oberen auf Bance
Island, der nicht seine eigene afrikanische Geliebte hat. Oder zwei. Oder
mehr.«
    »Das ist mir auch
aufgefallen«, sagte ich.
    Sie lehnte sich gegen
meine Schulter und sagte mit kaum hörbarer Stimme: »Natürlich funktioniert das
bei den Frauen nicht so. Sie haben ja keine Ahnung, wie kompliziert das alles
ist.«
    »Wenn es darum geht,
andere zu verstehen«, sagte ich, »strengen wir unsere Vorstellung nur selten
an.«
    Anna Maria seufzte und
berührte meinen Arm.
    Ich schien oft anderer
Meinung als sie zu sein, aber ich mochte es, dass sie so offen sprach und daran
interessiert war, was ich über die Dinge dachte.
    Bevor Anna Maria
Falconbridge weiterreden konnte, kam ein Bote der Company, um ihr zu sagen,
dass ein Ruderer darauf warte, sie zurück auf die King
George zu bringen. Auf dem
Weg zum Anleger warf sie noch einen Blick auf die Temne, die auf Debras Dach
arbeiteten.

G steht für Grant, O für Oswald
     
    Noch ein
weiteres Jahr suchte ich erfolglos nach einem Temne, der bereit gewesen wäre,
mit mir über meine Reise ins Landesinnere zu reden, bevor ich Alexander
Falconbridges Angebot annahm, mich nach Bance Island zu bringen. Die ganze Zeit
über träumte ich von Bayo, und meine Erinnerungen waren weit klarer als auf dem
Sklavenschiff oder während meiner ersten Tage in den Kolonien. Ich hatte das
Gefühl, ich würde alles dafür geben, nach Hause zu gelangen.
    Ich zog mir meine
besten Kleider an, einen gelben Hut mit einer Pfauenfeder, ein englisches Kleid
statt meines gewohnten afrikanischen Wickelkleides und die roten Schuhe mit den
glitzernden silbernen Schnallen. Das half mir, mich so weit wie nur möglich von
dem dünnen, nackten Mädchen entfernt zu fühlen, das vor rund vierzig Jahren im
Sklavenpferch auf Bance Island eingesperrt worden war und ein Brandzeichen bekommen
hatte.
    Es hieß, die beste Zeit
für einen Besuch sei direkt nach der Regenzeit, wenn die Händler aus dem Inland
anfingen, ihre Waren auf den Markt zu bringen. Falconbridge bestellte ein paar
Temne-Ruderer, die uns auf die Insel bringen sollten.
    Wir brauchten fast den
ganzen Morgen für die achtzehn Meilen flussaufwärts. Das Wasser war glatt wie
eine Scheibe, und sie fuhren uns stetig und unbeirrbar auf den Ort zu, den ich
nie hatte wiedersehen wollen. Wir redeten nicht viel. Die Sonne brannte vom
Himmel, die Ruderer kämpften gegen die Strömung an, und Falconbridge sagte nur
einen Satz: »Manchmal ist ein Handel mit dem Teufel besser als gar kein
Handel.«
    Als die weiße Burg oben
auf dem Hügel in den Blick kam, sah ich, wie klein die Insel tatsächlich war,
nur ein paar Hundert Meter lang und oval. Ein backenbärtiger, dickbäuchiger,
ganz in Weiß gekleideter Mann begrüßte uns auf dem Anleger. In der linken Hand
trug er zwei polierte, etwa vier Fuß lange hölzerne Stäbe mit einem dicken
Klumpen am Ende. Sie sahen aus wie Schlagwerkzeuge, doch er hielt sie wie
Spielzeuge in der Hand, zusammen mit einer hölzernen Kugel, die etwas kleiner
als meine Faust war.
    Mit der freien Hand
begrüßte er Falconbridge, und ich hielt ihm auch meine Hand hin, die in einem
von Anna Maria ausgeliehenen Handschuh steckte.
    »William Armstrong«,
sagte er. Sein Griff war fest. Er wirkte nicht wie ein Mann, der mir ein
rotglühendes Eisen auf die Brust drücken würde.
    »Armstrong ist der
stellvertretende Leiter des Forts«, erklärte mir Falconbridge.
    »Aminata Diallo«, sagte
ich. Der vollständige Name gab mir mehr

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