Ich habe einen Namen: Roman
sie
auf. Ich wusste, dass einige weiße Leute in Neuschottland eine Brille
benutzten, aber nie, wenn jemand anders dabei war. Aber ich war zu alt dafür,
mir Sorgen zu machen, ob mich Anna Maria oder ihr Mann für gut aussehend
hielten, und ohne meine Brille konnte ich nichts lesen.
Ich nahm den Bericht
und las laut vor: »Es geschieht oft, dass die Neger,
nachdem sie von Europäern gekauft wurden, wahnsinnig werden; und viele sterben
so, besonders die Frauen.«
Ich ließ das Buch
sinken und sagte, dass es meiner Erfahrung nach eher die Männer waren, die
wahnsinnig wurden. Die Männer, die sich verpflichtet fühlten, ihre Situation zu
ändern, verloren angesichts ihrer Machtlosigkeit den Verstand. Die
Verpflichtung der Frauen bestand eher darin, anderen zu helfen, und dafür gab
es immer kleine Möglichkeiten, selbst wenn sich an der grundsätzlichen
Situation dadurch nichts ändern ließ.
Anna Maria öffnete den
Bericht an einer anderen Stelle und gab ihn mir. Wieder las ich vor: »Die Ernährung der Neger an Bord besteht hauptsächlich aus
Ackerbohnen, die zu einem Brei verkocht werden, aus gekochten Jamswurzeln und
Reis und manchmal aus einem kleinen Stück Rindfleisch oder Schweinefleisch …«
Ich klappte den Bericht
zu. Es kam mir vor, dass ich erst gestern noch diese Dinge gegessen hatte, um
am Leben zu bleiben, auf einem Schiff, das wie der Tod roch. Die Gefangenen
hatten um Eimer mit dem Fraß gesessen und waren ganz verrückt nach den Keksen
und Erdnüssen gewesen, die ich aus der Kabine des Medizinmannes geschmuggelt
hatte.
Anna Maria fasste
meinen Ellbogen. »Ich sehe, das zu lesen reißt schlimme Wunden auf«, sagte sie.
»Lesen Sie es ein anderes Mal, wenn Sie mögen. Aber ich würde Sie gerne näher
kennenlernen. Würden Sie mich morgen zum Tee besuchen?«
Anna Maria Falconbridge
und ich fingen an, uns gegenseitig zu besuchen. Sie sagte, es gebe kaum eine
interessante Person in der Company, mit der zu reden sich lohne. Manchmal lud
sie mich zu einem Gläschen Rum ein, und sie war die Einzige der Company, die zu
mir nach Hause kam.
Einmal beklagte sie
sich über die Männer der Company, die König Jimmy ständig prachtvolle Geschenke
machten.
»In Afrika ist ein
Geschenk, auch ein kleines, Ausdruck der Achtung, die man für jemanden
empfindet«, sagte ich.
»Eine Flasche Rum vielleicht,
aber gleich ein ganzes Fass?«
Ich sagte nichts dazu.
Sie sah mich aufmerksam
an. »Mit Ihrer offensichtlichen Schreibkundigkeit und Ihren Erfahrungen sollten
Sie sich überlegen, Ihr Leben aufzuschreiben«, sagte sie. »Andere haben solche
Berichte zu ihrem großen persönlichen Vorteil verfasst. Haben Sie von Olaudah
Equiano gehört? Er ist Afrikaner und war einmal Sklave, genau wie Sie. Er hat
ein Buch über sein Leben geschrieben und ist damit berühmt geworden. Ich habe
keine Ahnung, ob alles, was er schreibt, auch wahr ist, aber egal, sein Buch
hat sich in England bestens verkauft, und es gibt viele weiße Engländer, die
ärmer sind als er.«
»Ich kenne seinen
Bericht nicht«, sagte ich.
Anna Maria sagte, sie
habe eine bescheidene persönliche Bibliothek mitgebracht. »Ich kann sie mit
niemandem teilen, Meena. Die meisten Männer der Company wissen nicht mehr von
Lesen und Literatur als ein Esel von der Astronomie. Ich leihe Ihnen mein
Exemplar gerne aus.«
Draußen erneuerten ein
paar Temne das Dach auf dem Haus meiner Freundin Debra. Ich sah, wie Anna Maria
den Schweiß betrachtete, der auf ihren Brüsten schimmerte, und sagte: »Besser,
sie bauen Häuser, als mit ihren Kanus Sklaven zu transportieren.«
Anna Maria lachte
leise. »Ich bin für Menschlichkeit und all den Unsinn«, sagte sie, »aber weit
intelligentere Menschen als ich behaupten, der Sklavenhandel rette Afrika vor
der Barbarei. Wissen Sie das?«
»Das sagen die
Engländer nur, um ihre Gemeinheit zu rechtfertigen«, sagte ich.
»Was ist mit Ihnen?«,
sagte sie. »Weltoffen. Intelligent. Belesen.«
»Der Umstand, dass ich
lesen kann, soll den Diebstahl von Männern und Frauen rechtfertigen?«
»Diebstahl? Die Händler
auf Bance Island zahlen teuer für ihre Käufe.«
»Trotzdem ist es
Diebstahl.«
»Aber Meena, der
Diebstahl beginnt hier auf dem Kontinent mit den Afrikanern, die sich
gegenseitig bestehlen und ausplündern.«
»Für wen, denken Sie,
stehlen sie sich gegenseitig?«
»Afrikaner haben, lange
bevor die Ersten von ihnen nach Amerika gebracht wurden, mit Sklaven
gehandelt«, sagte sie.
»Wir hatten einen
Ausdruck
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