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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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Blätter gerollt und von
zwanzig weiteren Ruderern auf den Köpfen getragen.
    Alassane war ein
großer, ernster Mann. Sein Alter war, wie wohl auch meines, schwer
einzuschätzen. Wäre er jünger gewesen, womöglich sogar jung genug, um mein
Enkel zu sein, zwanzig oder so, hätte ich mir wegen seiner Ehrlichkeit Sorgen
gemacht. Aber er war älter, um die vierzig, dachte ich und hoffte, dass er
genug vom Leben gesehen hatte, um sein Versprechen halten zu wollen.
    Alassane trug ein
weites Hemd, das ihm bis über die Hüften hing, eine dünne, eng anliegende Mütze
und eine weite Hose aus indischer Seide. Wenn er sich auf einen Handel
vorbereitete oder wichtige Männer traf, zog er seine Sandalen an, sonst ging er
barfuß. Seine Füße waren orangefarben und schmutzig, mit einzelnen Rissen, aber
hart wie Leder.
    Er führte den Zug
nordöstlich durch die bewaldeten Berge und schickte einen Trupp Späher und
Jäger voraus, um nach Schlangen, Leoparden und Stämmen Ausschau zu halten. Fünf
Männer scharte er um sich, drei gingen vor ihm, zwei hinter ihm. Sie waren
bewaffnet. Alassane selbst trug neben dem Messer, das in einer Scheide an
seiner Hüfte hing, nur einen Lederbeutel mit einem Koran über der Schulter. Er
bedeutete mir, hinter seinen Bewachern zu gehen, was mich zur letzten Person
der führenden Gruppe vor den etwa achtzig Trägern machte, die mit Messern und
Säbeln bewaffnet waren, manche auch mit Gewehren.
    An unserem ersten Tag
gab mir Alassane keine Möglichkeit, mit ihm zu sprechen. Von Zeit zu Zeit
unterhielt er sich mit den Männern um sich herum, und irgendwann hörte ich, wie
er mich einem der Männer gegenüber erwähnte, auf Fulfulde.
    »Sie will zurück in ihr
Dorf«, erklärte er seinem Helfer. »Sie sagt, es liegt bei Ségou.«
    Ich verpasste ein Stück
des Gesprächs, bis ich ihn wieder verstand.
    »Dumm?«, sagte
Alassane. »Nein. Sie ist schlau. Sie zählt, denkt und argumentiert wie ein
Mann. Sei vorsichtig. Sie spricht Temne, Englisch und Bambara.«
    Ich hatte Alassane
nicht gesagt, dass ich Fulfulde konnte, und hatte es auch nicht vor.
    Zwei Stunden vor
Einbruch der Dunkelheit verließ der Zug den ausgetretenen Pfad durch die
bergige Landschaft und errichtete ein rundes Lager. Eine Gruppe von sechs
Männern, drei mit Peitschen und Stöcken, drei mit Buschmessern, schlugen aufs
Gras, um die Schlangen zu vertreiben. Sie schrien vor Freude, als ein besonders
langes Exemplar aus den Büschen schoss und sich wand und zischte, bis ihr einer
der Träger mit dem Buschmesser den Kopf abtrennte. Acht Männer schwärmten aus,
um Holz zu sammeln, kamen vollbepackt zurück, und Minuten später prasselten die
ersten Feuer.
    Aus dem Wald kamen
Dorfbewohner und brachten Alassane eine Ziege. Er untersuchte sie, bevor sie
festgehalten und ihr die Halsschlagader aufgeschnitten wurde. Sie ließen sie
ausbluten, häuteten und zerlegten sie. Ich hatte nie gesehen, dass Männer Tiere
so schnell schlachteten und zubereiteten. Alassanes Männer waren erfahrene
Schlachter und Köche. Dorfbewohner brachten Mangos, Orangen, Hirsemehl,
Zwiebeln, Malaguetta-Pfeffer und Eisenkessel. Die Kessel wurden an eiserne
Roste gehängt, die auf starken Beinen wie hohe Tische über dem Feuer standen.
Der Eintopf kochte gut eine Stunde, und am Rande der Gruppe überwachte einer
von Alassanes Helfern, wie etwa ein Drittel eines Rumfässchens in eine große
Kalebasse geschüttet wurde, die von einem der Anführer der Dorfbewohner
mitgebracht worden war. Ich nahm an, das war die Bezahlung für das Essen und
das Recht, das Land zu durchqueren.
    Rund die Hälfte der
Männer, darunter Alassane und alle anderen aus der Führungsgruppe, knieten sich
vor dem Essen nach Osten blickend auf die Erde und beteten. Viele der Träger
beteten nicht mit, verhielten sich aber ruhig. Das letzte Mal, dass ich Fulbe
so in der Gruppe hatte beten sehen, war in meinem eigenen Dorf gewesen, und es
machte mich krank, dass Männer der Religion meines Vaters vom Sklavenhandel
lebten. Ich fragte mich, wie ein Mensch, der sich für einen guten Muslim hielt,
andere Menschen so behandeln konnte, aber die gleiche Frage konnte auch
Christen und Juden gestellt werden.
    Da ich während des
Gebets nichts Besseres zu tun hatte, kletterte ich in einen Baum, setzte mich
auf einen Ast und zog das eine Buch hervor, das ich mitgebracht hatte, Olaudah
Equianos Bericht über sein Leben. Ich las eine Weile. Kurz vor dem Essen kam
Alassane zum Baum, und ich kletterte

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