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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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herunter.
    »Geh dorthin«, sagte
er. Seine Männer hatte ein kleines Stoffzelt in Form einer Pyramide errichtet.
Drinnen hatten sie ein Matte zum Schlafen ausgebreitet und dahinter eine zum
Essen. »Da wirst du essen und schlafen. Jeden Abend wirst du das tun.«
    Mir gefiel nicht, wie
mir Alassane Befehle erteilte, und ich fragte mich, ob mich die Männer zu Hause
auch so behandeln würden und ob mich die lange Zeit meiner Unabhängigkeit für
das Dorfleben in Bayo verdorben hatte.
    Ich aß an diesem Abend
allein, genau wie an den nachfolgenden zehn Abenden, als wir unser Lager
aufgeschlagen hatten. Die Männer hockten in Zehnergruppen um ihre Kochtöpfe,
und mir wurde eine einzelne, großzügige Portion gebracht. Das war mein einziges
Essen, allerdings brachten Dorfkinder und Dorffrauen immer wieder Schalen
voller Obst, und wann immer es Orangen oder Ananas gab, erhielt ich meinen
Anteil. Wir kamen jetzt durch dichten Wald, und ich war froh, hinter den ersten
zehn Männern zu gehen, vertrieben die doch die Schlangen und Nager von unserem
Pfad. Immer weiter ging es zu den Bergen hinauf, und obwohl wir etlichen Gruppen
begegneten, hielten Alassane und seine Männer kaum einmal an, um jemanden zu
begrüßen.
    Das erste Mal, als uns
ein Trupp Sklaven entgegenkam, zählte ich achtundvierzig Gefangene. Die Männer
waren mit Jochstangen und Fußeisen gefesselt, Frauen und Kinder waren ohne
Fesseln, trugen aber schwere Lasten Essen und Salz auf den Köpfen. Die
männlichen Sklaven trugen Elfenbein, Gabanholz, Ebenholzfiguren und
Trinkschläuche. Ich sah kaum einmal einen Gefangenen ohne eine Last, ob nun auf
dem Kopf oder in den Händen. Einige Gefangene hielten den Blick gesenkt, und
ihre Augen waren wie tot, andere sahen ständig umher und schienen auf eine
Gelegenheit zur Flucht zu hoffen. Ich konnte den Blick nicht von ihnen wenden
und musste an die Frauen, Männer, Kinder und Eltern denken, die sie auf ihrem
langen Marsch zum Meer verloren. Verängstigt, wie sie waren, konnte ich mir
vorstellen, dass die Spannung in ihnen zu Hysterie, Wortlosigkeit und in
manchen Fällen auch zu Wahnsinn wurde, wenn sie wie in Eimer gepackte Fische in
die Sklavenschiffe gesperrt, über den Atlantik geschafft und drüben, wenn sie
überlebt hatten, auf Auktionen verkauft wurden. Als Kind hatte ich geglaubt,
dass kein aufrichtiger Erwachsener einen Trupp Sklaven unbehelligt
vorüberziehen lassen würde, und jetzt blieb ich selbst stumm und war unfähig,
etwas zu tun. Ich hatte keine Worte des Trostes für die Männer, Frauen und
Kinder, die mir auf dem Weg zur Küste begegneten. Ich konnte nichts tun, als
unsere Schultern auf den schmalen Pfaden aneinander vorbeistrichen.
    Ich wagte es nicht,
auch nur ein Wort Fulfulde an die Fänger oder Gefangenen zu richten. Alassane
sollte nicht wissen, dass ich seine Sprache verstand. Alassane behielt seinen
bewussten, schnellen Schritt bei. Meine Beine schmerzten, und ich hatte zwei
Schnitte in meinen Füßen, aber die ersten zehn Tage hielt ich gut mit, auch als
es bergauf ging.
    Während der langen
Stunden des Gehens hatte ich Zeit, meine Gedanken schweifen zu lassen, und
dachte darüber nach, wie es sein würde, wenn ich nach Hause kam. Ich hatte mehr
als vierzig Jahre damit verbracht, mich nach Bayo zurückzusehnen, ohne darüber
nachzudenken, was ich tun würde, wenn ich zurückkäme. Wer im Dorf würde mich
begrüßen, wer sich noch an meinen Namen oder den meiner Eltern erinnern?
Vielleicht würden mich die Bewohner von Bayo dafür ehren, dass ich zurückkehrte
und ihnen von meinem Leben bei den Toubabu erzählte. Bestimmt war ich die
Erste, die mit solch einer Geschichte nach Hause kam. Mir wurde bewusst, dass
es mir gar nicht so wichtig war, was ich tun wollte, sondern vor allem darum
ging, an den Ort zu gelangen, an dem mein Leben begonnen hatte.
    Gelegentlich
unterbrachen wir unseren Marsch, damit die Träger ausruhen und trinken und die
Muslime beten konnten. Eines Tages, nach einer solchen Rast, bedeutete mir
Alassane, ich solle auf unserem immer weiter nach Nordosten führenden Weg ein
Stück neben ihm gehen.
    »Betest du zu Allah?«,
fragte er mich.
    »Nein«, sagte ich.
Alassane sollte nicht wissen, dass ich einmal Muslimin gewesen war. Ich fürchtete,
er würde mich dafür verurteilen und vielleicht sogar bestrafen, dass ich meinem
und seinem Glauben den Rücken gekehrt hatte. In meinem Herzen hatte ich nicht
das Gefühl, den Glauben meines Vaters wirklich hinter mir gelassen zu

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