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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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haben,
ich hatte mich nur daran gewöhnt, dass er tief in meiner Seele schlummerte.
    »Betest du überhaupt
nicht?«
    »Ich habe meine eigenen
Gebete.«
    »Zu wem betest du?«
    Ich wollte meine
Verbindung zu den Engländern auf Bance Island hervorheben, und so sagte ich:
»Ich bete zu dem Gott, den ich unter den Toubabu entdeckt habe.«
    »Du gehst jetzt seit
zwölf Tagen mit Männern«, sagte er. »Bist du nicht müde?«
    »Manchmal sind meine
Beine schwer, aber ich will nach Hause.«
    »Nach Hause. Nach Ségou
am Fluss.«
    »Nach Bayo«, sagte ich.
»In der Nähe von Ségou am Fluss.«
    »Wie groß ist Bayo?«
    »Es gab zwanzig
Familien, als ich zuletzt dort war.«
    »Und du sagst, das war
dein Zuhause? Da hast du einmal gelebt?«
    »Ja.«
    »Warum weißt du dann
nicht, wo es liegt?«
    Ich wollte ihm nicht
davon erzählen, wie ich einmal eine Gefangene gewesen war, und so schwieg ich.
    »Es ist nicht richtig
für so eine alte Frau, so weit zu gehen. Wo ist dein Mann? Wo sind deine
Kinder? Wo sind deine Enkel?«
    Ich stellte mir vor, es
würde für ihn nicht zu verstehen sein, dass ich keine Familie hatte. »Die
warten in Bayo auf mich«, sagte ich.
    Er lachte. Das machte
mir Sorgen. Er glaubte mir also nicht.
    »Geh jetzt wieder«,
sagte er.
    Ich ließ mich zurück an
meinen Platz fallen, hinter den Männern, die seinen Rücken bewachten, aber vor
seinen Trägern. Ich wünschte, es gäbe noch eine Frau in unserem Zug, so wie ich
mir vor langer Zeit auf unserer Wanderung zur Küste andere Kinder gewünscht
hatte.
    Nach fünfzehn Tagen
begannen meine Knochen zu schmerzen, und meine Haut fühlte sich kalt an. Während
ich mich mühte, mit der Gruppe Schritt zu halten, stellte ich mir meinen Vater
vor, der mir grüßend die Arme entgegenstreckte. Ich glaubte, Fomba sehen zu
können, der Kaninchen und Ziegen für die Bewohner von Bayo häutete. Ich wusste,
sie waren nicht da, sah sie aber dennoch.
    Am sechzehnten Tag
konnte ich kaum noch laufen. Wir hatten den Grat der Berge überwunden und kamen
in weit weniger dichte Wälder mit mehr Gras, weniger Bäumen und weiten, offenen
Flächen. Das sah schon eher wie das Land aus, aus dem ich stammte, aber ich
erinnerte mich, dass ich auf dem Weg zur Küste endlos weit durch dieses Land
hatte gehen müssen, bevor wir das Gebirge erreichten. Nach zwei Stunden brach
ich zusammen. Ich hörte Rufe und Füße um mich herum. Jemand trug mich unter einen
Baum und versuchte mir Wasser in den offenen Mund zu schütten, an dem ich mich
verschluckte. Dann wurde ich in ein Zelt getragen. Als sie mich hinlegten,
konnte ich Alassanes wütende Stimme in einer erhitzten Auseinandersetzung
ausmachen. Ich gab einem Mann von der Chinarinde, damit er sie für mich zu
einem Tee aufkochte.
    Am nächsten Tag konnte
ich weiter. Ich hatte das Gefühl, die Hälfte meiner Kraft aus den Beinen
verloren zu haben, und war dankbar dafür, kein Gewicht auf dem Kopf tragen zu
müssen. Ich sah, wie Alassane prüfend zu mir herübersah, doch nach und nach
gewannen meine Beine ihre Kraft zurück, und auch mein Magen und mein Leib
beruhigten sich. Ich musste daran denken, was ich als Kind empfunden hatte, als
die Alten nicht mit unserem Zug hatten Schritt halten können. Damals hatte ich
gedacht, dass sie sich allen möglichen Ärger ersparen könnten, wenn sie nur
etwas schneller liefen. Jetzt, da ich kaum mehr einen Teil der Kraft von damals
besaß, dachte ich mit Bewunderung an all die Schwachen, die Schwangeren und die
alten Frauen und Männer, die den langen Marsch zur Küste durchgestanden hatten.
Die meisten Leute in den Kolonien – alle die, die nicht selbst aus Afrika
verschleppt worden waren – hatten gedacht, wir seien irgendwo an der Küste eingefangen
worden. Das ließ mich einmal mehr an die Männer denken, die Elefanten und Löwen
auf ihre Afrika-Karten malten. Sie hatten keine Ahnung, wer wir waren, wo wir
lebten und wie stark wir hatten sein müssen, um bis in die Kolonien zu
gelangen.
    Als wir einundzwanzig
Tage unterwegs waren, fragte ich Alassane, wie viel näher wir Ségou schon
gekommen seien.
    »Es ist noch sehr
weit«, war alles, was er sagen wollte.
    Nach weiteren zehn
Tagen wachte ich eines Nachts auf und hörte die Männer reden und streiten. Alassane
und seine Berater saßen nahebei an einem Feuer. Ich blieb absolut still in
meinem Zelt liegen.
    »Sie schläft«, sagte
ein Mann auf Temne.
    »Sprecht Fulfulde, nur
um sicherzugehen«, sagte Alassane.
    »Sie war dumm wie ein
Maultier,

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