Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
Vom Netzwerk:
alt.«
    »Aber tapfer und weise,
und das wird mir große Achtung verschaffen.«
    »Wie viele Frauen hast
du?«, fragte ich ihn.
    »Vier«, sagte er.
    »Ich kann nicht die
fünfte sein«, sagte ich. »Ich kann nur die erste sein, und die einzige.«
    »Die einzige? Welcher
gute, starke Mann hat nur eine Frau?«
    »Mein Vater hatte nur
eine. Und mein Ehemann. Und einige Toubabu.«
    »Die Toubabu«, sagte er
und spuckte aus, »sind Tiere. Sie stehlen unsere Männer, Frauen und Kinder,
nehmen sie mit und essen sie oder lassen sie sich totarbeiten.«
    »Sie lassen sie sich
totarbeiten, sie schlagen sie und lassen sie hungern, aber ich habe nie erlebt,
dass sie einen ihrer Gefangenen gegessen hätten«, sagte ich.
    »Bleib hier. Damit
ehrst du uns alle. Die Bewohner aus den Dörfern ringsum werden kommen, um deine
Geschichten zu hören.«
    Ich wusste, dass mir
Jussuf und seine Leute das Leben gerettet hatten. Ohne sie wäre ich den
Sklavenhändlern niemals entkommen. Aber ich musste an einen anderen Ort und
hatte dort eine Aufgabe zu erledigen, und so beschloss ich, ihnen zu geben, was
ich geben konnte, bis ich wieder ganz zu Kräften gekommen war. Dann wollte ich
sie verlassen.
    »Ich werde einen Mond
lang bleiben, wenn du mich nährst und vor den Menschenfängern schützt. Ich
werde dich damit bezahlen, dass ich deinem Dorf Ehre bringe. Aber ich kann dich
nicht heiraten, weil ein Mann auf mich wartet und ich muss zu ihm zurück.«
    »Ein anderer Mann
wartet auf dich?«, sagte er. »Warum hast du das nicht früher gesagt?«
    »Ich sage es jetzt«,
sagte ich und beließ es dabei. Es war nicht nötig zu erklären, dass dieser Mann
kein Afrikaner, sondern ein Toubab war, kein Ehemann, sondern ein Abolitionist.
Ich dachte an Georgia, meine Beschützerin und Freundin, und was sie mir vor all
den Jahren auf St. Helena Island gesagt hatte: »Männer müssen nicht alles
wissen, und manchmal ist es das Beste, wenn sie gar nichts wissen.«
    »Welche Ehre kannst du
mir also bringen, ohne meine Frau zu werden?«, fragte Jussuf.
    »Sorge für mich und
lass mich wieder zu Kräften kommen«, sagte ich, »und ich werde einen vollen
Mond lang jeden Abend Geschichten von den Orten, an denen ich gewesen bin, und
von allem, was ich im Land der Toubabu erlebt und gesehen habe, erzählen. Dir
werde ich diese Geschichten erzählen und allen Besuchern, die du dazu in dein
Dorf einlädst.«
    Und so erzählte ich
einen Mond lang jeden Abend meine Geschichten. Aus allen Dörfern rundum kamen
die Leute, manche waren Stunden unterwegs, um mir zuzuhören. Sie brachten Essen
und Kolanüsse mit und gingen befriedigt zurück in ihre Dörfer, die Köpfe voller
Gedanken und Stoff zum Reden.
    Ich erzählte meine
Geschichten Menschen, die bereit waren, die halbe Nacht dazusitzen, zuzuhören
und Fragen zu stellen. Manchmal sollte ich nur vor Männern sprechen, manchmal
nur vor Frauen und Kindern. Dann wieder erzählte ich meine Geschichten allen,
die da zusammenkamen, gemeinsam, während die Trommeln geschlagen wurden, die
Leute tanzten und die Musiker auf ihren Balafonen und Saitengitarren spielten
und sangen.
    Ich erzählte die
Geschichte meiner Jugend und die Geschichte meiner Wanderung nach Bance Island,
und wie ich dabei Babys auf die Welt gebracht hatte. Jedes Mal, bei jeder
Geschichte, wurde ich nach Namen gefragt.
    »Wer war die Frau, die
eine Tochter bekommen und sie aufs Schiff getragen hat?«, wollte eine Frau
wissen.
    »Sie hieß Sanu und war
ein äußerst sanftmütiger Mensch«, antwortete ich.
    »Und wie hieß das
Baby?«
    »Aminata.«
    »Aber das ist dein
Name.«
    »So ist es.«
    »Hat sie ihre Tochter
nach dir benannt?«
    Ich lächelte, und die
Frau lächelte, und gleich vier Zuhörer riefen, ich solle weitererzählen. Ich
erzählte die Geschichte der Überfahrt, der Revolte auf dem Ozean, der Zustände
an Bord des Schiffes und auf Sullivan’s Island. Ich erzählte vom Indigo-Anbau,
von seiner Ernte und den Negern in Amerika, die alle Sklaven waren, ganz
gleich, wo sie geboren waren. Ich erzählte, dass die Toubabu sich lieber mit
Silbermünzen bezahlen ließen als mit Hühnern oder Rum. Besonders beliebt waren
meine Beschreibungen der Häuser der reichen Weißen und ihrer Frauen, und wie
sie sich verhielten, Kinder gebaren und kochten. Meine Zuhörer lachten, bis
ihnen die Tränen kamen, als sie hörten, dass jeder reiche Weiße einen
afrikanischen Koch hatte, und sie kugelten sich auf dem Boden, als ich ihnen
vom Medizinmann des Schiffes

Weitere Kostenlose Bücher