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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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eine Pferdekutsche und brachten mich nach London. Unterwegs wurde mir
Rum, Brot und ein Stück Käse angeboten, und wir machten in einem Kaffeehaus
Rast, um etwas Heißes zu trinken und einen Blick in die Zeitungen zu werfen.
    Das Kaffeehaus war
voller Tabakrauch, der mir in den Augen brannte. Wir tranken mit Honig gesüßten
Kaffee, weil der Besitzer den Zuckerhandel boykottierte, um die Abolitionisten
zu unterstützen. Ich nippte an meiner Tasse und war umgeben von rauchenden,
lesenden, Kaffee und Tee trinkenden Männern. Sie unterhielten sich wortreich,
aber friedlich und sahen über ihre Zeitungen zu mir herüber. Ein kahlköpfiger
Mann konnte nicht aufhören, mich anzustarren, und so stand ich schließlich auf
und fragte ihn, ob ich mir seine Zeitung ausleihen dürfe, da er sie nicht
ansehe.
    »Was?«
    Ich wiederholte meine
Bitte.
    Der Mann ließ ein
wieherndes Lachen hören. »Du kanns’ lesen, wie? Ich kauf dir und den beiden
Gentlemen, die dich hergebracht haben, ’n Kaffee, wenn du mir was aus dieser
Zeitung hier vorliest.«
    Ich nahm die Zeitung.
In Sierra Leone hatte ich mich daran gewöhnt, englische Zeitungen zu lesen, die
drei bis sechs Monate vorher gedruckt worden waren, aber diese trug das Datum
desselben Tages, des 4. Oktobers 1802. Ich blätterte durch die Seiten und stieß
tatsächlich auf einen Artikel, der mich interessierte.
    »Neue Sklaverei-Anhörung« , verkündete die Überschrift. Ich las
laut vor. »William Wilberforce verlangt vom Parlament
die Einsetzung eines neuen Ausschusses, um die mutmaßlichen Misshandlungen im
Sklavenhandel zu untersuchen.«
    Ich wurde in
das Büro des Komitees für die Abschaffung des Sklavenhandels in der Old Jewry
Street 18 gebracht, in einen Teil der Stadt, in dem Jungen Zeitungen anpriesen,
Männer die Passanten in ihre Kaffeehäuser zu locken versuchten und Verkäufer
vor winzigen Läden standen und darauf warteten, einem Kunden eine Keule aus
einem Lamm zu schneiden oder ein Stück Zucker von einem Block zu brechen.
Unablässig strömten Pferde und Kutschen die Straßen hinauf und hinunter. Es
ging lauter und geschäftiger zu, als ich es je in Shelburne oder New York
erlebt hatte, und nach fast zehn Jahren Freetown kam mir der Trubel wie ein
Anschlag auf meine Sinne vor. Ich wurde in ein kleines, schmales Gebäude und
hinauf in einen ofenbeheizten Raum geführt. Im Schein flackernder Kerzen
erwarteten mich dort zwölf Männer, die mir alle die Hand schütteln und mich in
England willkommen heißen wollten.
    Wie sehr es sie freue,
dass John Clarkson endlich mit seinen Bemühungen durchgedrungen sei, mich nach
England zu holen, sagten sie. Clarkson schwieg und hörte zu, während einige
Ältere das Wort führten. Aus Neuschottland und Freetown war ich ihn als
Wortführer gewohnt, hier in England saß er im Schatten seines Bruders und der
anderen.
    Ein großer Mann
schüttelte mir besonders lang und ausgiebig die Hand, stellte sich als Stanley
Hastings vor und begann mir von all den großen Plänen zu erzählen, die sie mit
mir hätten. »Wir werden Sie behutsam und sorgfältig befragen und eine kurze
Beschreibung Ihres Lebens verfassen, einschließlich all der Misshandlungen, die
Sie durch den Sklavenhandel ertragen mussten.«
    Ich räusperte mich.
»Sie wollen mein Leben aufschreiben?«
    »Das ist so wichtig,
dass ich die Aufgabe womöglich selbst übernehmen werde«, sagte Hastings. Er
drückte die Hände ineinander und ließ die Fingerknöchel einzeln knacken, um
sich gleich darauf eine Pfeife zu stopfen. »Wir müssen diesen Bericht sehr
sorgfältig verfassen. Die kleinste Ungenauigkeit oder Unaufmerksamkeit könnte
verheerende Auswirkungen auf unser Anliegen haben.«
    Ich hörte Hastings’
Plänen, über mein Leben zu schreiben, argwöhnisch zu. Der Mann hatte die
Energie eines Ackergauls, und solch ein schweres, plumpes Tier hatte nichts in
meinem kleinen Garten zu suchen.
    Zwölf aufmerksame
Männer verschränkten die Hände und hielten ihre Blicke auf mich gerichtet. Ihre
Gesichter begannen sich um mich zu drehen. Mein Fieber war zurück. Hitze und
Kälte rollten wie die Wellen des Ozeans durch meinen Körper. Die Abolitionisten
hatten gut eingeheizt, dennoch kam mir der Raum kalt vor, ablehnend und fern,
so fern von der Wärme meiner Heimat. Ohne Mann, ohne Sohn und Tochter sehnte
ich mich nach der afrikanischen Sonne, die mich mit ihrer Milde umhüllte. Hier
fand ich keine Wärme, sondern hörte meine Zähne klappern und spürte, wie

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