Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
Statt durch wogende Felder aus Gold wandern wir jetzt im Herbst allerdings durch eine unrasierte Stoppellandschaft. Bereits morgen werden wir die große Provinz Kastilien-Leon erreichen.
Der Marsch ist heute wirklich 21 Kilometerlang Fleißarbeit. Um 6.30 geht es wieder los, hinter uns geht um sieben die Sonne auf. Ein grandioses Schauspiel in der Ebene. Rot, orange, gelblich schiebt das Sonnenlicht sanft die Nacht beiseite. Zudem nimmt der Mond langsam zu und strahlt uns bereits in den ersten, dunklen Minuten auf den Pelz. Gibt es eigentlich auch Mondbrand? Zur rechten Zeit treffen wir auf ein geöffnetes Café und machen unsere obligatorische Frühstückspause mit Kaffee, Cola und Boccadillo.
Allerdings erleben wir wieder einmal das Wunder, dass wir die ersten Pilger der vergangenen 25 Jahre sind, die hier heute morgen in die Bar gehen und etwas bestellen. Jedenfalls gewinnen wir den Eindruck, dass das so sein muss: Die junge Bedienung hat offensichtlich nichts vorbereitet und schneidet jedes Stück Brot, Käse oder Schinken erst nach der Bestellung auf. Mehr als ein Dutzend Pilger steht Schlange und die junge Spanierin glotzt bei jeder Kaffeebestellung eine Minute lang auf ihre dämliche Kaffeemaschine und wartet, bis ein Rinnsaal tröpfchenweise die Mini-Tasse gefüllt hat. Dazu macht sie ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Das muss wohl jeden Morgen hier so gehen, monatelang jedes Jahr - seit vielen Jahren. Und doch gibt es keine Vorbereitung auf den allmorgendlichen Ansturm der zahlenden Kunden, keine zweite Angestellte in der Stoßzeit. Kein Mitdenken, kein Service, kein Angebot. Die Stimmung unter den Pilgern schwankt zwischenVerwunderung, Belustigung, Resignation und offener Verärgerung. Jetzt bloß schön freundlich bleiben, denke ich mir nach viertelstündigem Anstehen. Schließlich sind wir in friedlicher Mission unterwegs. Am Ende des Tages ist es dann auch tatsächlich total egal, wie lange man gewartet hat: Zieleinlauf ist heute trotzdem wieder früh - um 12.30 Uhr. Na also, wir hatten doch heute viel Zeit zum Rumstehen und Warten, oder? Der Jakobsweg arbeitet zäh und kontinuierlich an unserer Gelassenheit. Und das übrigens auch in der fernen Heimat: Meine Frau Beate muss sich inzwischen mit dem Gerücht auseinandersetzen, dass ich von zu Hause abgehauen sei, wie sie mir fröhlich beim täglichen Telefonat berichtet. Eine für ihr breites Schandmaul allgemein anerkannte Dorftratsche hat verbreitet, dass ich weggelaufen sei. Stimmt ja auch irgendwie - das mit dem Laufen zumindest.
Unterwegs treffen wir auf eine Pilgerin aus Quebec, die beim Hören von Martins kanadischfranzösischem Akzent von jetzt auf gleich plötzlich in Tränen ausbricht - „vor Heimweh“, wie sie dem völlig verdatterten Martin erklärt. Sie entschuldigt sich mehrfach. Ich lache mich weg und tröste sie mit dem Hinweis, dass es bei Martins Anblick vielen so gehe, und ich schon eine Reihe heulender Kanadier zu trösten gehabt hätte… Er hat aber wirklich Glück mit seinen Landsleuten. Erst der schmuddelig-schwule René, jetzt die Dame, die ein wenig zu nah am Wasser gebaut hat - er sollteanfangen, die Adressen zu sammeln. Das sind doch alles potenzielle Kunden für seine Therapiestunden.
Ich finde für 25 Euro eine ordentliche Pension. Duschen, Handwäsche, Siesta bis vier. Auch heute Abend ist uns das Glück mit dem Restaurant nicht hold. Wieder genießen wir das zweifelhafte Vergnügen, eine extrem unfreundliche und desinteressierte Bedienung vorzufinden, die sich doof stellt und nicht mal das Wort „Beer“ verstehen will. Vielleicht sollten die mal ein Schild vorne aufstellen: „Wegen Reichtum und Desinteresse für Pilger geschlossen!“
Mit Myra, Holly, dem jungen Iren Cillian und der bayerisch-indischen Malati esse ich Pizza und Salat. Wir teilen uns das zuerst gelieferte Essen, weil die Bedienung erstens das Falsche ausgeliefert hat und weil es zweitens ewig dauert, bis die Teller auf den Tischen stehen. Ein Teil der Bestellungen kommt nie bei uns an. Was aber vielleicht gar nicht so schlimm ist, denn das Menü auf dem Nachbartisch sieht aus wie ein offenes Bein. Als wir dann später auch die Rechnung entsprechend kürzen, wird der Chef gerufen. Wir machen ihm sympathisch deutlich, was wir bekommen haben und was nicht. Danach will er bestimmt nicht mehr mit uns in den Fahrstuhl steigen.
Das gesundheitliche Befinden ist wieder mal im Gespräch - fast wie im Wartezimmer, wenn Frau Müller ihrer engsten
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