Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
lieber die Kunden warten. Dazu dann wieder eine gammelige Toilette, auf der man sich irgendwie an die gräusliche Stätte erinnert fühlt, ander einst Kaspar Hauser sein Schicksal fristen musste.
Heute hatten wir mit 28,6 Kilometern ein sattes Programm zu erpilgern. Die Gehwerkzeuge sind lahm und meine Blase Nummer zwei ist da, oben am linken Ballen. Tut aber nur beim Lachen weh. Martins Beine und Füße werden seit ein paar Tagen stetig belastbarer. Vor allem seine großen Blasen sind so gut wie abgeheilt.
Es waren auch wieder einige nervige Radpilger unterwegs. Das ist ja sowieso ein Thema für sich. Viele der Radler fahren ganz einfach und vernünftigerweise die dafür ausgewiesenen Routen. Einige Herrschaften mit Mountainbikes rauschen aber die Wanderwege zwischen den Pilgern entlang - zumeist Spanier - und stellen eine echte Gefahr dar. Sie klingeln grundsätzlich nicht, sind sehr schnell unterwegs und tauchen plötzlich vor oder hinter einem auf.
An einem wirklich sehr steilen Aufstieg kurbeln spanische Radsportler im kleinsten Gang von hinten auf uns zu. Es gibt einen schmalen Pfad im Weg, der begehbar ist und auf beiden Seiten davon losen Schotter. Auch für uns Fußgänger ist es sehr mühsam, Schritt für Schritt rutschend aufzusteigen. Mir ist schon klar, was kommen wird, als ich die Herrschaften von hinten auf uns zustrampeln sehe. Sie rufen, wild in den Pedalen kurbelnd, um uns vom festen Pfad in den Graben zu scheuchen. Myra springt erschreckt vom Weg, Martin tritt zur Seiteund ärgert sich hinterher maßlos über die Radlerarroganz. Ich gehe einfach weiter und ignoriere die drei. Wenn sie überholen wollen, müssen sie in den weichen Schotter ausweichen und nicht wir, finde ich. Sie schaffen es auch im Schotter und ohne eingebaute Vorfahrt.
Myra war heute wieder schlecht drauf, maulfaul und zwei-, dreimal hat sie nasse Augen, wie ich bemerke. Sie ist so frustriert über den anstrengenden Weg und so verärgert über ihre selbst ernannte Gruppenchefin - und darüber, dass sie sich von Kanada hat hierher quatschen lassen, dass sie am liebsten sofort aufhören würde. Sie will sich aber keine Blöße geben und außerdem sind die teuren Flüge über Portugal mit Zwischenstopp bereits gebucht. Gruppendynamische Prozesse.
Und am Abend kommt die Erklärung für den depressiven Anflug: Heute ist ihr 64. Geburtstag! Den hatte sie uns verschwiegen und wohl Rotz und Wasser darüber geheult, dass sie ihren Ehrentag hier schwitzend im staubigen Nordspanien und bei einer missratenen Reise in die Fremde begehen muss. Der nette Ire Cillian weiß aber Bescheid. Er hatte es tags zuvor von den drei Kanadierinnen aus Myras Ex-Gruppe erfahren. Er kommt plötzlich aus einem kleinen Geschäft und schenkt Myra zur Verwunderung der Umsitzenden einen kleinen silbernen Anhänger - nebst Schmatzer auf die Wange. Die ganze Terrasse singt ihr ein Happy Birthday.
Ich stelle fest: Pilgern ist überraschend .
Denn solches ist ein schöner Schmuck deinem Haupt und eine Kette an deinem Hals. Sprüche 1.9
14. Tag von Agés nach Burgos
Für heute stehen 24 Kilometer in die kastilische Provinzhauptstadt Burgos auf dem Tagesprogramm. Von der gestrigen Lang-Etappe haben sich unsere Gehwerkzeuge noch nicht erholt, und so nehmen die Probleme mit Reizungen und Blasen eher zu. Mit der nunmehr dritten Blase in den hitzefeuchten Schuhen wird auch mir der Pilger-Ehrentitel „Mister Blister“ (Blister = Blase auf englisch) verliehen. Auch Myra und Martin haben an Tag 14 neue Problemstellen.
Zudem ist heute unser letzter Tag zu dritt. Martin bleibt mit mir einen Tag hier in Burgos. Myra aber will morgen den Bus nach Léon nehmen. Mal sehen, wen wir heute zum Abschiedsabend aus unserer Pilgerfamilie noch treffen, denn viele wollen einen Bus-Sprung machen.
Der Wandertag heute begann nach guter Nacht und schwachem Frühstück wieder toll mit dem Vollmond über uns. Genau auf dem Berg des Tages,dem Matagrande, beginnt nach einem wundervollen Vollmondlichtmarsch der Sonnenaufgang. Ein förmlich glühendes Kreuz auf dem Gipfel ist der Hingucker.
Zuvor passieren wir das Dorf und die Hochebene von Atapuerca. Hier werden seit den 90er Jahren archäologische Sensationsfunde mit bis zu 800.000 Jahre alten Knochen einer europäischen Ur-Eva gemacht. Ob es sich bei der steinalten Senora möglicherweise um eine frühe, wenn nicht gar die erste Pilgerin handeln könnte, ist bis heute nicht geklärt. Meine Anregung an die Experten: Sucht nach den
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