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Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Titel: Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Messner
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wird uns klar, wie klein der Ausschnitt der Caminoreisenden ist, den wir bewusst miterleben. Schon die, die ein, zwei Tage vor oder hinter uns unterwegs sind, bekommen wir vermutlich nie zu Gesicht.
    Heute habe ich an einem Brunnen wieder eine Diskussion mit Miss Finnland gehabt. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Vielleicht der gleiche innere Reiz, der einen immer nach dem Schnäuzen ins Taschentuch starren lässt. Es ging um die Sprache im Fernsehen - Synchronisation. Mit unbändigem Stolz verkündet die Süße, dass in ihrer Heimat alle Filme in der Originalsprache gesendet werden - höchstens mit finnischen Untertiteln. Dadurch könnten alle (!) Finnen fließend Fremdsprachen. Wie viele Menschen denn in Finnland deswegen japanisch oder indisch könnten, will ich gern wissen. Als ich ihr dannschonend erkläre, dass das etwas mit fehlendem Geld für Synchronisationen in kleinen Ländern zu tun hat, und dass man mit Stereoton in größeren Ländern oft die Wahl zwischen synchronisiert und Originalsprache hat, ist sie sprachlos - für einen kurzen Moment. Dass jemand im heimischen Fernsehsessel keine Lust haben könnte, spanische Filme immer nur durch schnelles Mitlesen verstehen zu können, hat sie noch nie gehört. Ich wünsche mir ganz persönlich eigentlich eher mehr Synchronisationen als weniger - bei Politikerstatements etwa. Oder bei Liedern von Grönemeyer und Auftritten von Till Schweiger.
    Um halb zehn liege ich im Bettbezug. Es ist auch heute Abend sehr warm. Die vierte Mitbewohnerin in unserem Zimmerchen ist eingetroffen. Die immer beseelt strahlende, namenlose Dänin aus Jütland ist um die 55 und schläft bewusstlos weiter, während wir drei uns auf vier Quadratmetern um sie herum bettfein machen.
    Schon am Mittag beim Beziehen der Acht-Euro-Herberge ist uns aufgefallen, dass es für die 20 Betten nur ein kleines, fensterloses Bad mit einer Dusche und einem Klo gibt. Das Ganze ist wohl als Büro geplant und gebaut worden und jetzt in der Krise zur Pilgerherberge umfunktioniert worden. Die vorhandenen Verschmutzungen scheinen nicht gesundheitsgefährdend zu sein, so dass wir bleiben. Es macht auch wenig Sinn, nach Besserem zu suchen, da man nie wissen oder auchnur ahnen kann, was man bekommt. Zwischen toll und preiswert oder aber auch asi und teuer ist jederzeit alles drin.
    Zurück ins „Bangkok Hilton“: Im Zimmer ist es stickig, obwohl das Fenster sperrangelweit auf steht. Ich liege noch wach, als die drei anderen bereits gleichmäßig atmen. Glückliche Pilger. Unser offenes Fenster ist nur etwa drei Meter vom gegenüberliegenden Haus entfernt. Wie Martin am Mittag treffend bemerkte: „Ok, wir haben zwar keinen Meerblick, aber wir haben einen Blick.“ Draußen auf der Straße lärmen die Spanier mal wieder um die Wette. Es schlägt 23 Uhr. Den Geräuschen und Gerüchen nach zu urteilen, wird nun im Gegenüberhaus lustig gekocht. Das Wort „Leise“ gibt es natürlich auch im Spanischen - wird aber nicht gern genutzt. Myra und Martin fangen an zu schnarchen. Irgendwann schlafe ich dann doch ein. Um eins werde ich wieder wach und muss mal das letzte Glas Rotwein loswerden. Im Gang stinkt es nach zehn schlafenden Pilgern aus dem Durchgangsraum neben uns und das Bad ist mittlerweile ein fieses Schlammloch. Ich finde, hier wird genau jetzt eine feine Linie überschritten. Zurück in meiner kleinen Komfortzone, lausche ich weiter den Geräuschen der Nacht, nicke wieder irgendwann ein. Um 5.15 Uhr klackern draußen auf dem Camino unter unserem Fenster in tiefer Dunkelheit die ersten Panikpilger vorbei. Ich weiß wieder, warum ich lieber allein schlafe und auf dasGemeinschaftserlebnis gemeinsamen Schnarchens verzichten kann. Hier sind die Menschen, die bewusstlos schlafen können, klar im Vorteil - und ich bin total übernächtigt.
    Zum „Guten Morgen“ bekommen wir dann den ganzen Herbergs-Gammel quasi mit auf die Zahnbürste gedrückt: Das wortwörtlich überlaufene Bad sieht nach rund 50 Nutzungen aus wie ein Bahnhofsklo. Wenn ich morgen allein schlafe, ist das pure Selbstverteidigung. Ich stelle fest: Pilgern ist manchmal Tropenknast .
    Und Petrus ward zwar im Gefängnis gehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott. Apostelgeschichte 12.5

11. Tag von Najera nach St. Domingo de Calzada
    Heute lassen Myra, Martin und ich Bangkok, die Weinfelder des Rioja und Najera hinter uns. Wir betreten auf grobsteinigen, hellen und staubigen Wegen die Kornkammer Spaniens.

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