Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
Überresten eines Pilgermenüs in ihrem Magen. Vielleicht liegt auch noch irgendwo ihr Stock rum… Auch Ötzi soll ja auf dem Weg nach Santiago gewesen sein. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der lange Abstieg mit dem Marsch in die Stadt ist nach dem Matagrande-Gipfel reine Fleißarbeit durch gammelige Vororte. Sogar eine verfallene kleine Kirche gibt es hier - zwischen Millionen verblühter Sonnenblumen. Die Kathedrale von Burgos strahlt dafür um so weißer gegen den stahlblauen, kastilischen Himmel. Ich komme gut und zentral im Zwei-Sterne-Hotel Espagna unter.
Der Abend ist dann eine wehmütige Veranstaltung. Im Laufe des Nachmittags ist die ganze Bande der vergangenen zwei Wochen rund um die Kathedrale von Burgos zusammengetroffen. Doch es war ein Tag und Abend der Abschiede. Henri,der französische Professeur, ist mit dem Zug nach Hause gefahren. Die bayrische Inderin Malati fährt ebenso wie die Kanadierin Sharon, die warmherzige irische Cafébesitzerin Holly und unsere liebe Mutter der Kompanie, Myra, mit dem Bus weiter nach Léon. Wohl in den meisten Fällen ein Abschied für immer.
Myra hat nochmal ordentlich geheult beim Abendessen. Ihre drei Ex-Mitstreiterinnen haben sich von ihr verabschiedet und zumindest noch die Handynummern ausgetauscht - denn die laufen trotz Zeitnot auf Kommando der Chefin einfach stoisch weiter. Myra muss und will sich jetzt ein paar Wochen allein durchschlagen, bis es wieder nach Kanada geht. Sie will das durchstehen, auch wenn sie sich unsicher und alleine fühlt. Zumindest bei der Busfahrt morgen ist sie ja noch in guter Gesellschaft der anderen.
Viele Mitglieder der Camino-Familie gehen offensichtlich davon aus, dass alle Ausflugsteilnehmer wegen persönlicher Probleme hier sind, und dass ihre Probleme die anderen auch unheimlich interessieren. So eine Art Therapiegemetzel um die vermeintlich schlimmsten Schicksale. Die deutsche Mittvierzigerin Vera aus Dortmund, graues langes Haar, natürlich Vegetarierin, übrigens zum Gottserbarmen dürr, schildert mir freimütig zwischen meinen Spaghetti und meinem Schnitzel beim Abendessen ihre eigentlich sehr persönlichen Dauerprobleme mit derspätpubertierenden Tochter. Dabei kaut sie lustlos Salatblätter. Ich versuche, an ihrem Monolog vorbeizudenken: Wie trägt die auf solch knochigen Schultern eigentlich ihren Rucksack?
Ganz ehrlich? Zu ihren Abhandlungen kann ich gar nichts sagen. Eindeutig ein Frauenthema. Es gibt ja solche halluzinogenen Sätze, die kann sich nur eine Frau ausdenken. Das kann gar kein Mann. Ein bisschen hilflos suche ich in den Gesichtern der Umsitzenden nach Rettung oder Verständnis, aber die verstehen ja kein Wort von dem deutschen Gefasel und strahlen mich an. Die glauben bestimmt, ich wäre dankbar und glücklich, endlich mal wieder eine Unterhaltung in meiner Muttersprache führen zu können. Eigentlich wollte ich ja nur zu Abend essen.
Für viele weibliche Pilger mittleren Alters, die hier klar die Mehrheit darstellen, gehören wir Männer unter den Pilgern offensichtlich nur zu den Requisiten auf ihrem Trip ins Sonstwohin. Wann endlich begreifen auch solche Frauen den feinen Zauber nonverbaler Kommunikation? Jetzt noch ein paar tiefgreifende Unterleibsgeschichten und ich reise auf der Stelle ab.
Aber irgendwann ist die Plauderstunde schlagartig, Gott sei´s geklingelt, vorbei und meine Rolle als unfreiwilliger Psychotherapeut auch: Jetzt bricht das gesamte Glockengeläut der Kathedrale über uns herein. Etwa eine Viertelstunde lang versteht man nicht mal seine eigenen Gedanken, solaut lässt der Glockenverantwortliche seine Schätzchen in den Türmen wirbeln. Ich nehme es als dankenswerten Eingriff von ganz oben zu meiner Rettung - ich soll also nicht abreisen. Allerdings habe ich schon Sorge, dass die Gute jetzt versucht, im Rhythmus des Glockengescheppers ihren Namen zu tanzen. Als der Geräuschnebel sich langsam verzieht und es wieder ganz still um uns wird, habe ich den Platz neben der Therapiecouch verlassen und sitze zum Nachtisch genau am anderen Ende des Tisches. Pilgern ist nichts für Zartbesaitete .
Siehe, da ist eine Stadt nahe, darein ich fliehen kann, und sie ist klein; dahin will ich mich retten, dass meine Seele lebendig bleibe. 1. Mose 19.20
15. Tag: Ruhetag in Burgos
„Hey, heute essen wir bei Burgos-King ein paar Hamburgos!“ Kleiner Scherz… Heute ist Erholung, Sightseeing und Einkaufen in der lebhaften und schönen Stadt Burgos angesagt. Regelrechtes Shopping fällt
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