Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
schon aus den Gründen des unweigerlichen Weitertransports natürlich aus.
Der unkomplizierte Ire Cillian hat gestern eine Nachtschicht als Pilger eingelegt, wie er erzählt. Er wurde gegen drei Uhr nachts vom wildenGeschnarche seiner Schlafgenossen in der Herberge wach. Zudem hatte er erhebliche Hausstaubmilben-Probleme mit Asthma in dem - wie er es nett formuliert - nicht so sauberen Bett. Also marschiert er los, ist um halb neun morgens in Burgos und döst bis zu Herbergsöffnung um zwölf Uhr auf einer Bank vor der Tür. Auf die Frage, was er denn am Abend vorhabe, antwortet der lustige Ire ohne die Miene zu verziehen ganz trocken: „Pizza, Bier und ein paar DVDs“ wären ihm ganz recht.
Auf einer gemütlichen Bank in der Sonne Spaniens lasse ich mit Blick auf die Kathedrale das mediterrane Leben an mir vorbei flanieren. Spannend und aufschlussreich zu beobachten ist dabei das Treiben der örtlichen Bettlermafia. Vor der Tür zum Ticketcenter sitzt eine ältere, kräftige, kleine Frau - wie im Stil einer südeuropäischen, zu Unrecht diskriminierten reisenden Minderheit komplett in bunte Tücher gehüllt - und hält die Hand auf. Nun muss man wissen, dass die große Kirche von Burgos tatsächlich Eintritt kostet. Nur ein kleiner Nebeneingang zu einem Seitenschiff ist kostenfrei zu betreten. Über diese Form der unchristlichen Abzocke könnte man wohl auch ein paar Zeilen schreiben, aber nun gut. Das ist eine südländische Unsitte, die ich dadurch abstrafe, dass ich für öffentliche Kulturdenkmäler keinen Eintritt bezahle. Bleib` ich eben draußen.
Doch nochmal zurück von der Kirchen- zur Bettlermafia: Die scheinbar leidend unmittelbar ander Eingangstür sitzende Zigeuner-Bettlerin hat ihre Umgebung und den ganzen weiten Platz im Blick wie ein junger Adler. Sobald an einem der vier, fünf Zugänge zum Vorplatz ein uniformierter Polizist auftaucht, greift sich die Dame in geschmeidiger Geschwindigkeit ihren Einkaufstrolley und spaziert geübt unauffällig nach rechts oder links vom Eingang weg. Nach ein paar Sekunden und mindestens 50 Metern wagt sie den ersten, heimlichen Blick über die Schulter zurück. Folgt ihr jemand, ist sie den Uniformierten aufgefallen? Muss sie wohl, sonst wären die spanischen Polizisten auch blind wie die Maulwürfe. Trotzdem ignorieren sie die Frau und schlendern am Ticketcenter vorbei langsam weiter durch die Fußgängerzone. Kaum eine Minute später nimmt die Bettlerin wieder ihren Platz ein und streckt die mitleiderregend gekrümmten Finger nach Almosen aus. Ihr Blick unter dem Kopftuch hervor ist weiterhin hellwach.
So geht das über rund zwei Stunden ein halbes Dutzend Mal. Uniformierte tauchen auf, sie wandert von der Bühne ab und hat bald wieder einen neuen Auftritt. Zwischendrin wird sie dann mal Schlag 13 Uhr von einer jüngeren Frau in ähnlicher Kluft abgelöst. Die Junge taucht auf, ein kurzes Übergabegespräch und sie übernimmt die Bettler-Dienstgeschäfte.
Die Alte verschwindet für exakt 30 Minuten durch ein Tor, macht wohl Mittagspause undToilette. Dann kommt sie wieder angewackelt und löst die andere Schichtbettlerin ab. Punkt 17 Uhr, als das Ticketcenter schließt, räumt auch die Bettlerin ihren Platz. Schichtende. Ein Mann südländischen Aussehens im Anzug und die jüngere Frau holen die Ältere zum Feierabend ab - ebenso wie den Quetschkommodenmusikanten ein paar Meter weiter unter einem großen, mittelalterlichen Tor.
Alles straff durchorganisiert und hier am Jakobsweg mit den vielen besonders christlichspendierfreudigen Touristen sicher ein lohnendes Geschäft. Den Weg des erbettelten Geldes kann ich natürlich nicht verfolgen. In der Zeitung war allerdings schon davon zu lesen, dass die Polizei einen vergleichbaren Fall in einer deutschen Großstadt so weit aufgeklärt hat, dass die Einnahmen der diensthabenden Almosenbande allabendlich auf das Konto einer rumänischen Bank eingezahlt wurden. Der Zigeunerkönig im Ausland hat von täglich tausenden Euro gelebt wie ein Fürst. Das bemitleidenswerte, bettelnde Fußvolk hatte davon nur so viel, dass es nicht verhungerte.
Nach einem gemeinsamen Nachmittagsbier vor der Kathedrale von Burgos rückt Martin abends müde in seine Herberge ab. Cillian ist nicht wieder aufgetaucht, und so wandere ich ein Weilchen allein durch die Gassen und über die Plätze. Auf der Plaza Mayor finde ich gerade noch einen Platz vor einer Pizzeria, denn Punkt 19 Uhr sind die Spanierwieder aus allen Löchern und Ritzen
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