Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
reizvoll. Sie traute sich allerdings eine sportliche Leistung dieser Dimension nicht zu. Das Ziel Jakobsweg wurde erstmal gut in den Gedanken weggeschlossen. Über den Sport ihrer Tochter lernte sie dann immer wieder Menschen kennen, die besondere Leistungen geschafft hatten. Und das waren ganz normale Leute, keine gestählten Extremsportler. Sie stellte fest: „Das kann ich auch.“
Und so entschlossen wie sich das bei ihr anhört, setzte sie das in die Tat um: „Ich wollte etwas für mich wirklich Besonderes machen und etwas ganz Fremdes erleben.“ Gesagt, getan. Mit ein paarMonaten Vorlauf informiert sie ihre Verwandtschaft und ihren Chef, plant die Anreise und viel Zeit auf dem Camino und legt los. „Wenn man will, ist es ganz einfach“, stellt sie fest. Stimmt.
Sozialarbeiterin Andrea aus Köln wollte „einfach mal weg, raus, nur laufen.“ Schon ihre Eltern waren vor 20 Jahren auf dem Jakobsweg unterwegs. Ganz ohne den aufreibenden Job, auf sich allein gestellt und ohne Alltag fühlt sie sich hier herrlich frei. Sie hat keinen Kontakt zur Arbeitsstelle und ist auch nicht wirklich glücklich mit der Entwicklung dort. Die Auszeit macht ihr daher sichtlich Spaß.
Der Abend in Léon wird dann zu einem echten Knaller: Wie verabredet, sind Jennifer und Andrea um 17 Uhr vor der Kathedrale, und auch Leonie trifft pünktlich ein. Dann machte sie plötzlich ein Foto von mir und sagt: „Dreh Dich mal um!“ Da stehen Martin und Cillian grinsend vor mir. Die ganze Truppe ist - für mich völlig überraschend -noch einmal zusammen!
Martin hatte mir noch am Vormittag gesimst, dass er bereits unterwegs und raus aus Leon sei. Ein Täuschungsmanöver, um mich einzulullen! Jetzt haben wir doch noch einen gemeinsamen Abend und Martin bleibt mit neuen Blasen sogar morgen noch in Leon - ebenso wie Leonie mit ihrer Erkältung, die mittlerweile schon eine anständige Grippe ist. Cillian fährt morgen früh mit dem Zug zum Rückflug nach Madrid. Andrea und Jenniferwollen nachmittags mit dem Bus aus der Stadt rausfahren, um sich das Gelatsche durch die Vorstadt bis zurück in die Pilgereinsamkeit zu ersparen. Ich bin wirklich baff über diese Überraschung und ein bisschen beschämt, dass meine Pilgerfreunde sich so für mich ins Zeug gelegt haben. Ich hatte schon überlegt und geplant, wie ich morgen den Tag in Leon allein totschlage und dann die nächsten Tage ebenso allein weitergehe, bis ich in Villafranca nach fünf Wochen meine Familie zu den restlichen 190 Kilometern Familiencamino wiedertreffe.
Nach einem fröhlichen Abend in einem Straßenrestaurant mit viel Pilgerlatein und den Abenteuern der vergangenen Tage verabreden wir uns für 11 Uhr zum Frühstück in einer Bar vor der Kathedrale. Pilgern ist immer überraschend .
Und es ward eine große Freude in derselben Stadt. Apostelgeschichte 8.8
25. Tag: Ruhetag in Léon
Nach gemütlichem Ausschlafen gehe ich erstmal einkaufen. Martin konnte mir beschreiben, wo ich den Laden finden würde. Gut, dass ich die Beschreibung habe: Bis fünf Meter vor der gläsernen Eingangstür gibt es wieder keinerleiHinweis auf den großen Supermarkt. Morgen ist Sonntag und zudem geht es raus aus der Stadt wieder direkt in die spanische Provinz. Bananen und Äpfel, Trinkjoghurt und Milchbrötchen fürs Frühstück müssen als Vorrat mit, denn sonntags ist sowieso fast alles zu, Pilgerströme hin oder her.
Mit Martin, Leonie und Dorothy sitze ich vor der Kathedrale von Léon zum Frühstückskakao zusammen. Anschließend beobachte ich zwei Trauungen im Inneren des imposanten Baus aus hellen Steinen. Die gut katholischen spanischen Bräute sind natürlich ganz in weiß gewandet. Die Gäste - rund ein Drittel kommt deutlich zu spät und schleicht sich in die hinteren Reihen - sind aufgedonnert wie bei einer englischen Adeligen-Hochzeit. Die Damen tragen bevorzugt Mini, bunt und High Heels. Die Herren schwarz, die Jüngeren ohne Schlips. Jede Trauung dauert exakt eine Stunde und alles muss natürlich präzise und pünktlich ablaufen, damit die nächste Hochzeitsgesellschaft nicht warten muss. Dieser Zwang zur Pünktlichkeit überfordert aber offensichtlich eine ganze Reihe der Gäste, die dann ab einem gewissen Zeitpunkt vom Ordner auch nicht mehr in die Nähe der Hochzeit gelassen werden, um die Zeremonie nicht zu stören. Ist ja auch eine Zumutung für Spanier, dieses Bestehen auf ein pünktliches Erscheinen. So geht das weiter bis zum Abend, wie ich von anderen erfahre.
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