Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
Musik à la Enya. Gut zum Einschlafen.
Das Laufen ist heute schwer. Erst die vielen Kilometer aus der Stadt raus, dann wieder afrikanische Steppe. Der Weg geht eine ganze Zeit bergauf. Vielleicht bin ich dann auch zu schnell unterwegs, weil ich ein bisschen Gas gebe in der unromantischen Vorstadt. Eine kleine Blase am linken großen Zeh und müde Beine sind die Ausbeute des Tages.
Manche Pilger, oft aus Brasilien, Italien oder anderen südlichen Ländern mit einem Hang zu übersteigertem Nationalbewusstsein, verwechseln den Camino offensichtlich mit einer Art Pilger-Weltmeisterschaft, ist mir in den vergangenen Tagen aufgefallen. Sie präsentieren ständig ihre überdimensionierten Nationalflaggen - als Rucksackhülle, Schal, Halstuch oder ganz besonderen Kopfschmuck. Eine nationale Zeigefreudigkeit, die in der entspanntenInternationalität irgendwie fehl am Platze erscheint. Hier im Ziel-Nest des Tages gibt es kein Hostal, aber ich habe in der Herberge ein Einzelzimmer dank Leonies telefonischer Reservierung: „Esta possible reservar un habitacion por una persona por mañana?“ So lautet ihr Standardspruch am Handy - simpel - und es klappt. Gracias.
Hier in der Herberge sind heute auch Martin, Dorothy und Leonie angekommen. Um sieben gibt es Pilgermenü - allerdings vegetarisch. Ganz tolle Wurst. Wenigstens habe ich heute Nachmittag Brot mit Tomate, Cornichons und reichlich Wurscht gegessen. Meist gibt es zum Menü abends ein schönes Stück gebratenes Tier. Wäre der Jakobsweg schon immer 800 Kilometer lang stylisch vegetarisch gewesen, gäbe es wohl mehr Pilgerfriedhöfe als Herbergen, ätze ich sehr zum Missfallen einiger deutscher Ökotanten um mich herum. Sie bestehen darauf, dass sie sich gesünder ernähren, dass das alle so machen sollten. Na dann fühlen sie sich wohl normalerweise bei jedem Abendessen wie im Vorhof der Tiermörder-Hölle. Wenn ich mir die traurige Pampe auf dem Teller anschaue, sage ich mal prophetisch: „Das werden nicht alle Pilger mitmachen.“ Wer in Klischees denkt, liegt selten falsch, gelle?
Wie befürchtet, ist das Menü dann auch dröge und geschmacksarm. Sagen dann übrigens auch die geübten Pflanzenfresser. Außerdem war es für denHerbergsbetreiber so erheblich billiger. Und wenn dann viele Pilger auch noch selig lächeln, wenn nur das Wort „vegetarisch“ irgendwo zu lesen ist, gibt es fast nur Gewinner… Egal, morgen geht´s weiter. In veganen Schuhen aus nachhaltig linksdrehendem Hanf den nächsten Steaks entgegen. Die Realität ist eben auch für Pilger in der Praxis oft eine Zumutung .
Einer glaubt, er möge allerlei essen; welcher aber schwach ist, der isst Kraut. Römer 14.2
27. Tag von Villar de Mazarife nach Astorga
Wir marschieren endlich wieder auf richtige Berge zu. Schluss mit der Hochebene. Schluss mit Stoppelfeldern. Das Cruz de Ferro und die zugehörige Kantabrische Bergkette mit den Montes de Leon stellen sich uns mit ersten grünen Hügeln quer in den Weg. Bisher waren die Bergspitzen im Norden parallel zur Küste immer unsere Begleiter auf der rechten Seite des Weges, nun stehen sie vor uns. Ich freue mich auf die körperliche Herausforderung.
Am 27. Tag des Caminos gibt es wieder eine Premiere und wieder einen Abschied von Martin, wohl der endgültige. Ich bleibe morgen in Astorgazum Sightseeing. Er geht weiter, um dann in ein paar Tagen seinen Camino in Ponferrada nach 600 mühevollen und schmerzhaften Kilometern zu beenden. Seine Zeitplanung war von Anfang an zu knapp und dann hatten ihm sein Knie und die kaputten Füße einen endgültigen Strich durch die Rechnung gemacht. Das angepeilte Tagespensum war für ihn nie zu schaffen. Zu unserem Glück, wie wir beide finden. Sonst hätten wir uns nie so fröhliche Pilgertage bereiten können. Martin will zum Schluss einen Tag in Santiago verbringen, bevor er nach ein paar Tagen in Südfrankreich bei alten Bekannten über Paris zurück nach Montreal fliegt.
Doch der Reihe nach. Der Weg führte heute überraschend und erstmals stundenlang durch Maisfelder. Manchmal ändern sich die Feldfrüchte rechts und links des Weges von einem Meter zum anderen. Als wäre der Anbau dieses oder jenes Gemüses vorher gesetzlich verboten.
Leonie rauscht morgens im Sonnenaufgang auf einem Wirtschaftsweg mit 80 Sachen im Taxi an mir vorbei. Wegen ihrer Erkältung, die jetzt eine richtige Grippe mit Schüttelfrost ist, fährt sie auf unser aller dringendes Anraten heute mit der Taxe nach Astorga, um dort zu
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