Ich habe mich versehentlich auf den Staubsauger gesetzt
Hamburger Krankenhaus St. Georg (keine Sorge, wir erzählen Sie nachher alle). Allein die räumliche Konzentration der meisten seiner Fälle auf den oberbayerischen Raum lässt vermuten, dass derlei Verletzungen ziemlich häufig in deutschen urologischen Abteilungen anzutreffen waren. Denn auch der Übeltäter war in sehr, sehr vielen Haushalten zu finden: das Modell »Kobold« der Firma Vorwerk. Was ein wenig an Loriot erinnert, war für die Betroffenen eher unlustig. Denn das Besondere am »Kobold« war, dass hier der Motor unmittelbar hinter der Saugdüse angebracht war. Somit sparte man sich den umständlichen Verbindungsschlauch wie bei herkömmlichen Modellen. Nachteil war nur, dass beim Abnehmen des Aufsatzes nur mehr 11 Zentimeter Platz waren, bis man(n) zu einem heftig rotierenden Propeller gelangte. Und 11 Zentimeter – viele Männer sind ja in der glücklichen Lage – , da bleibt kein Spielraum. Wer sich also durch den Luftstrom eines »Kobold« stimulieren lassen wollte, seinen Penis darob in jenes Ansaugrohr verbrachte und dabei mehr zu bieten hatte als jene 11 Zentimeter – für den wurde es extrem ungemütlich. Und er wurde ein Fall für die Urologie.
In Fachkreisen wurde das Verletzungsmuster schon bald als »Morbus Kobold« bekannt und berühmt. Und die Firma Vorwerk aus Wuppertal kämpfte anfänglich noch beherzt gegen ihr neu gewonnenes Image, musste aber schon bald einsehen, dass sie nur verlieren konnte. Im Jahr 1985 veröffentlichte beispielsweise der Chaos Computer Club (CCC) im »Bildschirmtext« (so etwas wie der Urgroßvater des Internets) einen launigen Artikel mit dem Titel »Onanie macht krank«. Der Autor beschrieb darin, basierend auf Dr. Alschibajas Dissertation, mit stark ironischem Unterton die Gefahren des Haushaltsgeräts, das die Firma aus dem Bergischen Land bis dato als »seit 1930 Weltspitze durch technischen Vorsprung« und dem Motto »Nur Saugen allein genügt nicht« so solide beworben hatte. Die Klage gegen den Club wurde aber schließlich zurückgezogen, nachdem die Arbeit von Dr. Alschibaja zeigte, dass die beschriebenen Fälle tatsächlich echt und wissenschaftlich belegt waren.
In den 1990ern diente die Dissertation für Satiriker und Scherzbolde, aber auch für Journalisten als Beleg für vermeintlich unsinnige oder kuriose Doktorarbeiten an deutschen Universitäten. Wie zum Beispiel im Nachrichtenmagazin Focus , das 1995 schrieb: »Welchen Fortschritt für welche Wissenschaft bringt etwa die Beschäftigung mit Penisverletzungen beim Onanieren unter Zuhilfenahme eines Staubsaugers, die mit akademischen Würden bedacht worden ist?« Dass hier freilich schon der Titel der Doktorarbeit völlig falsch zitiert wurde, scherte die Journaille wenig.
Und schließlich diente die Arbeit im Jahr 2004 als veritables Comedyprogramm. Unverändert und nur leicht gekürzt, rezitierte Schauspieler und »Stromberg« Christoph Maria Herbst unter Assistenz von Charlotte Roche und zahlreicher sachdienlicher Dias aus Dr. Alschibajas Doktorarbeit. Dabei zeigte sich die ungewollte humoristische Potenz dieser 68 maschinenbeschriebenen Seiten. Herbst begann ganz akkurat mit der Anatomie (»Der Penis ist ein lang gestreckter, zylindrischer Körper, der im Wesentlichen aus erektilem Gewebe aufgebaut ist.«), ging sodann rasch zu einigen statistischen Feinheiten über, wie etwa der Häufigkeit der Masturbation in Abhängigkeit von Alter und Schulbildung. Bereits bei Seite 5 der Arbeit, unter Kapitel »III. Staubsauger«, wurden die ersten Zuschauer unruhig. Als Herbst nämlich erst die Motorleistung des »Kobold 116« vortrug (17.000 Umdrehungen in der Minute) und das Kapitel schließlich im Satz gipfelte: »Entfernt man nun die Saugdüse, so trennt nur noch ein 11 Zentimeter langer Ansaugstutzen von 3,2 Zentimeter Durchmesser den Propeller von der Staubsaugerspitze.«
Spätestens jetzt litten die Zuhörer immer stärkere virtuelle Schmerzen, konnten aber wie bei jedem guten Unglücksfall auch nicht mehr anders, als genau hinzuhören. Und es folgte der Hauptteil: der Vortrag der 16 Fälle des Dr. Alschibaja. In einem Interview erzählte Christoph Maria Herbst später vom typischen Verlauf einer solchen Lesung: »Wir hatten immer ein bis sechs Männer, die in Ohnmacht gefallen sind. Sie merken, dass es ihnen ein bisschen mulmig wird, stehen auch auf, aber schaffen es nicht mehr. Andere können beobachtet werden, wie sie rausgehen und zitternd an einer Zigarette ziehen. Es ist ein sehr
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