Ich habe mich verträumt
davon, ich habe die Person nicht gemeldet, die es veruntreut hat, und ich habe mitgeholfen, dass es verborgen blieb.“
„Wer hat das Geld denn genommen?“, fragte ich nach. „Mein Bruder.“
Ich verschluckte mich fast. „Oh“, hauchte ich.
In der nächsten halben Stunde erzählte Callahan mir eine faszinierende Geschichte. Dass er und sein Bruder Pete eine große Baufirma gehabt hatten. Dass die Regierung nach dem Hurrikan Katrina endlos viel Geld in den Wiederaufbau gesteckt hatte. Dass das Geschäft chaotisch gewesen war, Bestellungen verloren gingen, jede Menge Forderungen von Versicherungen kamen, dass sich in New Orleans viel kriminelle Energie breitmachte. Und dann, eines Nachts, entdeckte er zufällig bei einer Bank auf den Cayman Islands ein Konto unter seinem Namen mit eins Komma sechs Millionen Dollar.
„Ach du Scheiße!“, stöhnte ich.
Er antwortete nicht, sondern nickte nur.
„Was hast du gemacht?“
„Na ja, es war vier Uhr morgens und ich war völlig perplex, als ich meinen Namen da auf dem Bildschirm sah. Ich konnte aber auch nicht wegsehen, weil ich dachte, dass mein Bruder denn es konnte kein anderer als er gewesen sein – das Geld jederzeit transferieren könnte. Oder ausgeben. Ach, ich weiß auch nicht. Also eröffnete ich ein neues Konto und überwies das ganze Geld dorthin.“
„Sind diese Konten nicht passwortgeschützt und so was?“, fragte ich nach. (Immerhin hatte ich John Grisham gelesen.)
„Ja, das schon. Aber er hatte den Namen unserer Mutter genommen. Mit PINs und Passwörtern war er noch nie besonders schlau gewesen. Hat immer seinen Geburtstag genommen oder den Namen unserer Mutter. Jedenfalls überlegte ich mir, dass ich ihn zur Rede stelle und wir dann einen Weg finden, das Geld wieder dorthin zurückzuüberweisen, wo es hingehörte. Wir arbeiteten im Stadtteil Ninth Ward, bauten die Häuser wieder neu auf, und ich dachte mir, wir lassen das Geld einfach wieder dort einfließen.“
„Warum hast du nicht die Polizei verständigt?“ „Weil es um meinen Bruder ging.“
„Aber er hat diese ganzen Menschen betrogen! Und er benutzte dich für seine Geldschieberei! Oh Gott, Ninth Ward war der Stadtteil von New Orleans, den es am schlimmsten getroffen hatte …“
„Ich weiß.“ Cal seufzte und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Ich weiß, Grace. Aber …“ Er brach ab. „Aber er war auch der Bruder, der mich ein Jahr lang in seinem Zimmer hatte schlafen lassen, nachdem Mom gestorben war. Der mir beigebracht hatte, wie man einen Baseball schlägt und wie man Auto fährt. Er hatte immer gesagt, wir würden mal zusammen arbeiten. Ich wollte ihm eine Chance geben, die Sache zu bereinigen.“ Cal sah mich an, und sein Gesicht wirkte plötzlich sehr viel älter. „Er war mein großer Bruder. Ich wollte nicht, dass er ins Gefängnis geht.“
Ja, das kannte ich. Dass man für die Familie etwas völlig Unvernünftiges tat – oder? „Also, was ist passiert?“, erkundigte ich mich ruhig. „Was hat er gesagt?“ Ich stellte meinen leeren Teller zur Seite.
„Tja, was konnte er schon sagen? Es tue ihm leid, er sei da so reingerutscht, alle anderen würden es auch machen … Aber er willigte ein, dass wir das Geld einfach wieder in die Projekte fließen lassen und es so loswerden.“ Er schwieg einen Moment, wie in Gedanken versunken. „Zu unserem Unglück hatte die Aufsichtsbehörde die Firma bereits unter Beobachtung gestellt. In dem Moment, da ich das Geld überwies, gab ich ihnen eine Spur, und sie schlugen zu.“ Er senkte den Blick und schüttelte den Kopf.
„War dein Bruder auch im Gefängnis?“, fragte ich leise.
Cal sah nicht auf. „Nein, Grace. Er hat gegen mich ausgesagt.“
Ich schloss die Augen. „Oh, Cal!“ „Ja.“
„Hast du … Was hast du getan?“
Wieder ein tiefer Seufzer. „Mein Bruder hatte Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Über allem stand mein Name, und es war sein Wort gegen meines. Und ich war der Buchhalter. Pete behauptete, selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er nicht gewusst, wie so etwas funktioniert, schließlich sei ich der College-Boy von der Uni und alles. Die Staatsanwaltschaft fand ihn einfach überzeugender, schätze ich. Mein Anwalt sagte, sie würden jeden, der die Opfer von Katrina bestiehlt, mit größter Härte bestrafen, also ließ ich mich auf einen Handel ein.“
Angus sprang auf meinen Schoß, und ich streichelte ihn abwesend. „Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt, Cal? Ich
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