Ich habe mich verträumt
aufhängen. „Schon immer Schreiner gewesen?“, fuhr mein Vater mit einem unvollständigen Satz fort, um seine Solidarität mit der Arbeiterklasse zu demonstrieren.
„Nein, Sir. Ich bin einmal Buchhalter gewesen.“ Cal sah mich wieder an. Ich lächelte und schob meine Hand in seine.
Offenbar hatte Mom das gehört und kam angerauscht. „Sie hatten also eine Erleuchtung , Callahan?“, fragte sie, während sie eine ihrer Skulpturen auf fast anzügliche Weise streichelte. „Das habe ich auch erlebt. Da war ich, eine Mutter und Hausfrau, aber in mir rang eine Künstlerin um Anerkennung! Am Ende musste ich meine neue Identität einfach annehmen.“
„Tanzsaalflittchen?“, raunte ich Margaret zu. Ich hatte ihr alles über mein Erlebnis in Julians Tanzschule erzählt – warum sollte ich allein leiden? –, und sie schnaubte. Mom sah mich fragend an, zog Cal dann aber zu Begierde hinüber, um ihm das Wunder künstlerischer Ausdruckskraft zu erläutern. Callahan zwinkerte mir zu. Gut. Er entspannte sich.
„Hallo Leute! Wir haben es geschafft!“ Über das Summen der Menge hinweg ertönte die melodiöse Stimme meiner jüngeren Schwester.
Natalie und Andrew hielten Händchen. „Hallo Grace!“, sagte Nat und sprang vor, um mich zu umarmen.
„Was ist mit mir?“, brummte Margaret.
„Zu dir komme ich doch noch!“ Nat grinste. „Hallo Margaret, ich hab dich genauso lieb wie Grace, okay?“
„Das solltest du auch“, knurrte Margs. „Hallo Andrew.“
„Hallo die Damen. Wie geht’s denn allen so?“
„Alle leiden, Andrew, also gesell dich zu uns“, erwiderte ich lächelnd. „Schön, dass ihr gekommen seid!“
„Wir wollten Callahan doch unbedingt kennenlernen“, sagte Natalie. „Du und Wyatt, wie lange wart ihr zusammen? Zwei Monate? Und ich habe nicht ein Mal die Gelegenheit bekommen, ihm die Hand zu geben.“ Nat musterte meinen neuen Freund. „Gott, Grace, was sieht er umwerfend aus! Sieh dir mal diese Arme an! Der könnte glatt ein Pferd hochheben!“
„Hallo, ich stehe direkt neben dir“, sagte Andrew zu meiner Schwester. Ich schmunzelte in mein Weinglas und spürte ein warmes Ziehen im Unterleib. Genau, Andrew, dachte ich, dieser große, starke, umwerfende Mann ist dein Nachfolger. Ich fragte mich, was Cal wohl von meinem Ex hielt. Cal sah zu mir herüber, lächelte, und das Ziehen wurde zu einem sehnsüchtigen Brennen. Ich lächelte zurück, und Cal lauschte erneut den Ausführungen meiner Mutter.
„Sieh sie dir nur an“, kommentierte Nat zu Margaret gewandt. „Sie ist verliebt.“
Ich wurde rot. Andrew sah mich fragend an und blickte dann zu Boden.
„Ich fürchte, du hast recht, Nat“, entgegnete Margs. „Grace ist schwer verliebt, der arme Tropf. Und da wir gerade von armen Tröpfen sprechen … Andrew, könntest du dich wohl nützlich machen und uns noch etwas Wein bringen?“
„Ja, M’am“, antwortete Andrew gehorsam.
„Übrigens“, sagte ich, „möchte Mom, dass ihr euch eine Skulptur als Hochzeitsgeschenk aussucht.“ Ich sah Nat vielsagend an.
„Oh, Liebling, lass uns schnell etwas aussuchen“, erwiderte Natalie. „Das kleinste, was auch immer es ist. Mein Gott, sieh dir das an! Himmelspforten . Wow, ist das riesig!“ Sie spazierten davon.
Dad kam zu Margs und mir. „Gracie-Liebling“, begann er, „kann ich kurz mit dir sprechen?“
Margaret seufzte schwer. „Da werde ich schon wieder verstoßen! Und dann wundern sich die Leute, warum ich soaggressiv bin! Na schön. Dann gehe ich mal und stöbere zwischen den Schamlippen.“ Bei ihren letzten Worten zuckte Dad zusammen. Dann wartete er, bis sie außer Hörweite war.
„Ja, Dad?“ Ich hob ein Schultergelenk hoch, um es zu bewundern. Ups. Plötzlich hielt ich zwei Teile in Händen.
„Tja, Schnups, ich frage mich, ob du nicht zu vorschnell mit deinem Arzt Schluss gemacht hast“, sagte Dad, während ich versuchte, die Gelenkteile wieder zusammenzusetzen. „Sicher, er muss viel arbeiten, aber denk doch nur daran, was er tut! Kindern das Leben retten! Ist das nicht die Art von Mann, die du willst? Ein Schreiner … also, ich will ja nicht snobistisch klingen oder so …“
„Du klingst ausgesprochen snobistisch, Dad“, erwiderte ich und drückte den Humerus (Oder war es die Ulna? Ich hatte in Biologie eine Zwei minus gehabt.) in die Gelenkpfanne zurück. „Aber du denkst ja schon, dass ein Lehrer auf derselben Stufe steht wie ein Feldarbeiter, also …“
„Das denke ich nicht“, sagte Dad.
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