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Ich habe mich verträumt

Ich habe mich verträumt

Titel: Ich habe mich verträumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristan Higgins
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weißhaariger älterer Herr mit einer Zeitung. Aber kein Dave.
    Ich bestellte einen koffeinfreien Cappuccino, setzte mich und überlegte, ob ich mich wohl noch hätte umziehen sollen. Während ich am Schaum nippte, ermahnte ich mich, meine Hoffnungen nicht zu hoch zu schrauben. Dave konnte nett sein oder ein Mistkerl. Trotzdem. Sein Foto hatte nett ausgesehen. Vielversprechend.
    „Entschuldigung, sind Sie Grace?“
    Ich sah auf. Vor mir stand der weißhaarige Mann. Er kam mir irgendwie bekannt vor … ob er wohl mal bei den „Oldies“ getanzt hatte? Schließlich war der Tanzkurs für alle offen. Oder kannte ich ihn von der Manning?
    „Ja, ich bin Grace“, erwiderte ich zögernd.
    „Hallo, ich bin Dave! Nett, Sie kennenzulernen.“
    „Hallo … äh …“ Mir blieb der Mund offen stehen. „Sie sind Dave? Dave von eCommitment ?“
    „Ja! Wie schön, Sie zu treffen! Darf ich mich setzen?“
    „Äh … ich … sicher“, erwiderte ich langsam.
    Verwirrt beobachtete ich, wie Dave sich zu mir an den Tisch setzte und ein Bein nach außen streckte. Der Mann war fünfundsechzig – mindestens. Vielleicht sogar siebzig. Dünnes weißes Haar. Faltiges Gesicht. Hände mit hervortretenden Venen. Und bildete ich mir das nur ein oder hatte er links ein Glasauge?
    „Das ist ein sehr nettes Lokal, nicht wahr?“ Er rückte seinen Stuhl zurecht und sah sich um. Jupp. Das linke Auge bewegte sich nicht, es war definitiv künstlich.
    „Ja, also … hören Sie, Dave“, begann ich mit einem freundlichen, aber irritierten Lächeln, „verzeihen Sie bitte, aber Ihr Foto … Sie sahen darauf so … jugendlich aus.“
    „Ach, das!“ Er lachte. „Danke sehr. Also, Sie schrieben, Sie mögen Hunde? Ich auch. Ich habe einen Golden Retriever. Maddy.“ Als er sich vorlehnte, nahm ich den Geruch von Tigerbalm wahr. „Sie erwähnten, Sie hätten auch einen Hund?“
    „Äh, ja. Ja, habe ich. Angus. Einen West Highland Terrier. Also, von wann ist es? Das Foto?“
    Dave dachte eine Minute nach. „Lassen Sie mich überlegen. Ich glaube, ich habe das aufgenommen, kurz bevor ich nach Vietnam ging. Essen Sie gern auswärts? Ich liebe es. Italienisch, chinesisch, alles.“ Er lächelte. Er hatte immerhin noch alle seine Zähne, das musste man ihm lassen, auch wenn die meisten gelb von Nikotin waren. Ich versuchte, nicht zu schaudern.
    „Ja, also, das Foto, Dave. Hören Sie. Vielleicht sollten Sie da mal ein neueres nehmen, meinen Sie nicht?“
    „Kann sein“, erwiderte er. „Aber Sie wären bestimmt nicht mit mir ausgegangen, wenn Sie mein wahres Alter gewusst hätten, oder?“
    „Nun, das ist genau das, worauf ich hinaus will, Dave“, entgegnete ich. „Eigentlich suche ich nämlich jemanden in meinem Alter. Sie schrieben, Sie seien Ende dreißig.“
    „Ich war Ende dreißig!“ Dave lachte leise. „Früher einmal. Aber bedenken Sie bitte, dass ein älterer Mann durchaus seine Vorteile hat, und ich dachte, davon könnte ich Sie eher überzeugen, wenn Sie mich erst einmal persönlich kennenlernen.“ Er grinste breit.
    „Ich bin sicher, dass es Vorteile gibt, Dave, aber die Sache ist die …“
    „Oh, entschuldigen Sie bitte“, unterbrach er mich. „Ich sollte eben mal schnell den Urinbeutel ausleeren. Sie haben doch nichts dagegen, oder? Ich bin in Khe Sanh verwundet worden.“
    Khe Sanh. Als Geschichtslehrerin wusste ich, dass das eine der blutigsten Schlachten des Vietnamkriegs gewesen war. Ich ließ die Schultern hängen. „Nein, natürlich nicht. Gehen Sie ruhig.“
    Er zwinkerte mir mit dem gesunden Auge zu, stand auf und ging leicht humpelnd zu den Toiletten. Toll. Jetzt würde ichbleiben müssen, weil ich einen Kriegsveteranen nicht einfach so sitzen lassen konnte, oder? Das wäre unpatriotisch. Ich konnte ja nicht gut sagen: Entschuldigen Sie, Dave, aber ich gehe nicht mit älteren, verwundeten Kriegsveteranen aus, die nicht mehr allein pinkeln können . Das wäre nicht nett, nein, kein bisschen.
    Also verbrachte ich zu Ehren meines Landes eine weitere Stunde mit Dave und hörte alles über seine Suche nach einer guten Ehefrau, über seine fünf Kinder von drei Frauen, den erstaunlichen Rentnerrabatt für seinen vollautomatischen Fernsehsessel und welche Art Katheter er am besten vertrug.
    „Tja, nun sollte ich aber gehen“, sagte ich, sobald ich das Gefühl hatte, meine patriotische Pflicht zur Genüge erfüllt zu haben. „Sie sind wirklich sehr nett, Dave, aber ich suche doch jemanden in meinem Alter.“
    „Sind

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