Ich habe mich verträumt
Schade.
„Komm mit, Angus-Baby. Los geht’s!“ Ich packte meine Sachen zusammen und verließ das Haus, während Angus fröhlich neben mir hersprang. Er wusste genau, was der weit schwingende Rock seiner Mommy bedeutete. Ich stieg ins Auto, legte den Rückwärtsgang ein und setzte zurück auf die Straße, wie ich es schon Hunderte Male getan hatte.
Doch anders als bei den Hunderten Malen zuvor hörte ich ein furchtbares metallisches Knirschen.
Callahans Pick-up parkte an der Straße, noch dazu sehr nahe an meiner Ausfahrt. Also gut, vielleicht nicht so nahe, aber da ich mich seit meinem Einzug an eine völlig freie Ausfahrt gewöhnt hatte, war ich die Kurve etwas zu … ja. Okay. Es war mein Fehler gewesen.
Ich stieg aus, um den Schaden zu begutachten. Mist. Callahan wäre wohl wenig erfreut zu hören, dass ich ihm sein linkes Rücklicht beschädigt hatte. Glücklicherweise war mein eigenes Auto echte deutsche Wertarbeit, sodass es nur einen kleinen Kratzer abbekommen hatte.
Seufzend sah ich auf die Uhr und machte mich pflichtschuldig auf den Weg zu Callahans Haustür.
Ich klopfte. Keine Reaktion. „Callahan?“ Nichts. „Ich habe gerade Ihren Wagen angefahren.“ Wieder nichts. Na schön, er war nicht da. Leider hatte ich keinen Stift dabei, und wenn ich jetzt erst wieder ins Haus ginge, würde ich zu spät zum Tanzen kommen. Ich war sowieso schon sehr knapp dran.
Er würde warten müssen. Ich lief wieder zu meinem Wagen, scheuchte Angus vom Fahrersitz und machte mich auf den Weg ins Golden Meadows .
Während ich fuhr, Angus auf dem Schoß und seine süßen kleinen Pfötchen auf dem Lenkrad, wünschte ich plötzlich, ich wäre zur alleinerziehenden Mutter geeignet. Ich könnte einfachin einer Samenbank vorbeischauen und bingo! Kein Mann mehr nötig. Das Leben wäre so viel einfacher.
Ich fuhr am See vorbei. Die Sonne ging gerade unter und ein Paar Kanadagänse setzte kreisend und mit anmutig gereckten schwarzen Hälsen zur Landung an. Sobald sie aufs Wasser aufsetzten, schwammen sie sofort aufeinander zu und kontrollierten, ob der Partner sicher gelandet war. Wunderschön. Das war die Art von Fürsorglichkeit, die ich suchte. Na toll. Jetzt beneidete ich schon Gänse!
Als ich auf den Besucherparkplatz des Seniorenheims fuhr, besserte sich meine Laune schlagartig. Dieser Ort tat meiner Seele wohl. „Hallo Shirley“, grüßte ich die Empfangsdame beim Hineingehen.
„Hallo Grace.“ Sie lächelte. „Und wen haben wir denn da? Das ist ja Angus! Hallo mein Süßer! Hallo! Möchtest du einen Keks?“ Belustigt sah ich zu, mit welcher Verzückung Shirley sich über meinen Hund hermachte. Angus, der hier sehr beliebt war und genau wusste, dass er ein dankbares Publikum hatte, hob die rechte Vorderpfote und legte den kleinen Kopf schief, woraufhin Shirley schwärmerisch aufseufzte.
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, auf Angus aufzupassen?“, fragte ich, während Angus sauber und vornehm den angebotenen Keks aß (schließlich befanden wir uns in der Öffentlichkeit).
„Etwas ausmachen? Natürlich nicht! Ich liebe ihn! Oh ja, das tue ich. Ich liebe dich, du süßer kleiner Angus!“
Lächelnd setzte ich den Weg Richtung Atrium fort, wo wir jede Woche den „Oldies-Tanzabend“ veranstalteten. „Hallo zusammen!“, rief ich.
„Hallo Grace!“, kam es im Chor zurück. Ich umarmte und küsste und drückte die alten Leute und merkte, wie mir das Herz aufging.
Julian war natürlich auch da, und beim Anblick meines guten alten Freundes wäre ich vor Freude fast in Tränen ausgebrochen. „Du hast mir gefehlt, du hässlicher Knopf“, sagte ich. Wegen des Angebots einer kostenfreien Blutdruckmessung war der Tanzkurs letzte Woche ausgefallen.
„Du hast mir auch gefehlt“, entgegnete er und schnitt eine Grimasse. „Diese Verabredungssache funktioniert bei mir nicht. Ich würde sagen, wir vergessen es.“
„Was ist passiert?“
„Eigentlich überhaupt nichts. Es ist nur … Ich bin wohl nicht dafür geschaffen, mit jemandem zusammen zu sein. Zumindest nicht in romantischer Hinsicht. Und so schlimm ist es ja nun auch nicht, allein zu sein, oder?“
„Nein“, log ich. „Kein bisschen! Komm morgen zu Project Runway vorbei, okay? Dann machen wir es uns vor dem Fernseher gemütlich.“
„Danke. Ich war ja so einsam.“ Er lächelte traurig.
„Ich auch, Julian.“ Erleichtert drückte ich ihm die Hand.
„Also gut, liebe Leute!“, rief Julian. Er strich mir kurz über die Wange und drückte auf
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