Ich habe mich verträumt
Griffe von Mémés Rollstuhl und schob los. „Wohin geht’s, die Damen?“
„Schiebt mich da etwa dieser Ire?“ Mémé versuchte, den Kopf weit genug zu drehen, um ihn sehen zu können.
„Ach, komm schon, Mémé.“ Ich tätschelte ihre Schulter. „Er ist ein großer, starker, gut aussehender Kerl. Lehn dich einfach zurück und genieß die Fahrt.“
„Du klingst wie ein Flittchen“, murmelte sie, gehorchte aber trotzdem und wünschte uns an ihrer Tür kurz angebunden eine gute Nacht. Dann starrte sie Callahan so lange an, bis er den Hinweis verstand und ein paar Schritte weiterging, damit er nicht die Haufen von Gold in ihrem Zimmer liegen sähe und in Versuchung käme, sie auszurauben.
„Gute Nacht, Mémé“, sagte ich artig.
„Trau ihm nicht“, flüsterte sie. „Es gefällt mir nicht, wie er dich ansieht.“
Ich blickte den Gang hinunter zu Callahan und hätte am liebsten gefragt, wie genau er mich denn ansehe. „Okay, Mémé.“
„Was für eine reizende alte Dame“, kommentierte Callahan, als ich zu ihm zurückkehrte.
„Sie ist ganz schön schrecklich“, gab ich zu. „Besuchen Sie sie oft?“
„Leider ja.“
„Warum?“
„Aus Pflichtbewusstsein“, antwortete ich.
„Sie tun eine Menge für Ihre Familie, oder?“, fragte er. „Tun die denn auch etwas für Sie?“
Empört zuckte ich zusammen. „Aber ja! Sie sind toll. Wir stehen uns alle sehr nahe.“ Aus irgendeinem Grund hatte mich seine Bemerkung verletzt. „Sie kennen meine Familie nicht. Das hätten Sie nicht sagen sollen.“
„Hm.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Heilige Grace, die Märtyrerin?“
„Ich bin kein Märtyrer!“, protestierte ich.
„Ihre Schwester zieht bei Ihnen ein und kommandiert Sie herum, Ihre Großmutter behandelt Sie wie Dreck, aber Sie sagen nichts dazu, und Sie belügen Ihre Mutter, dass Sie ihre Skulpturen mögen … Für mich klingt das ziemlich märtyrerhaft.“
„Sie haben keine Ahnung, wovon Sie sprechen“, fuhr ich ihn an. „Soweit ich weiß, haben Sie zwei Verwandte, von denen einer nicht mehr mit Ihnen sprechen will und der andere es nicht mehr kann. Was wissen Sie also von Familie?“
„Sieh an, sieh an, sie hat also doch Zähne!“ Er klang auf widersinnige Weise befriedigt.
„Hören Sie. Mein Angebot, Sie mitzunehmen, müssen Sie nicht unbedingt akzeptieren, Callahan O’Shea. Von mir aus können Sie gern Ihr Fahrrad nehmen und von einem Auto überfahren werden, das ist mir egal.“
„Wenn Sie mit dem Auto unterwegs sind, ist die Chance dazu allerdings sehr groß, hab ich recht?“
„Ich wiederhole: Seien Sie still oder fahren Sie allein nach Hause.“
„Schon gut, schon gut, beruhigen Sie sich“, sagte er. Ich beschleunigte meine Schritte, und meine Tanzschuhe klapperten laut auf dem gefliesten Boden.
Bei Shirley am Empfang holte ich meinen Hund wieder ab. „Ist er brav gewesen?“, erkundigte ich mich.
„Wie ein Engel!“, gurrte Shirley. „Hm? Warst du lieb, Schätzelchen?“
„Welches Beruhigungsmittel haben Sie benutzt?“, wollte Callahan wissen.
„Hey, Sie sind der Einzige, den er nicht mag“, log ich, als Angus seine kleinen schiefen Zähnchen bleckte und Callahan anknurrte. „Er ist eben ein guter Menschenkenner.“
Draußen regnete es, weshalb meine Pfingstrosen morgen früh fünf Zentimeter höher wären (und mein Haar fünf Zentimeter kürzer). Brummig wartete ich, bis Callahan sein Fahrrad vom Laternenpfahl losgekettet und zu meinem Auto geschoben hatte. Dann öffnete ich den Kofferraum und wartete, dochCallahan stand einfach nur da, ließ sich nassregnen und starrte mich an.
„Und?“, drängte ich. „Packen Sie’s rein.“
„Sie müssen mich nicht mitnehmen, wenn Sie nicht wollen, Grace. Ich habe Sie verärgert. Ich kann allein fahren.“
„Ich bin nicht verärgert. Seien Sie nicht albern. Heben Sie Ihr Fahrrad ins Auto. Angus und ich werden nass.“
„Ja, Ma’am.“
Ich beobachtete ihn, wie er sein Fahrrad anhob und im Kofferraum verstaute. Es passte nicht vollständig hinein, und ich ermahnte mich innerlich, langsam zu fahren, um nicht an einem Abend gleich zwei von Callahans Fahrzeugen zu beschädigen. Dann stieg ich mit Angus in den Wagen und kontrollierte kurz mein Haar im Rückspiegel – es war tatsächlich von bösen Geistern besessen. Ich seufzte.
„Sie sind süß, wenn Sie sauer sind“, meinte Callahan, als er einstieg.
„Ich bin nicht sauer“, erwiderte ich.
„Das ist schon in Ordnung, wenn Sie sauer sind“,
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