Ich habe mich verträumt
Grace. Sie besucht mich gerade. Grace, Edith ist neu hier.“ Sie verzog die Lippen zu einem hinterhältigen Lächeln. „Haben Sie diese Woche schon Besuch bekommen, Edith?“
„Ja, also, mein Sohn und seine …“
„Grace kommt jede Woche, nicht wahr, Grace?“
„Das stimmt. Ich helfe beim Tanzunterricht aus“, sagte ich. „Sie sind herzlich eingeladen, auch einmal mitzumachen.“
„Oh, ich liebe es, zu tanzen!“, rief Edith. „Wirklich? Kann ich einfach dazukommen?“
„Von halb acht bis neun“, antwortete ich lächelnd. „Ich werde nächste Woche nach Ihnen Ausschau halten.“
Mémé, die sich bestimmt ärgerte, dass es ihr nicht gelang, Edith Minderwertigkeitsgefühle einzuimpfen, markierte einen Hustenanfall, um die Aufmerksam wieder auf sich zu lenken.
„Schön, Sie kennengelernt zu haben“, sagte ich zu Edith und hielt es für angebracht, den Rollstuhl weiterzuschieben. Wir kamen ins Foyer.
„Stopp!“, befahl Mémé. Ich gehorchte. „Sie da! Was wollen Sie?“
Aus einem der Gänge, die vom Foyer abzweigten, kam ein Mann. Es war Callahan O’Shea.
„Wenn Sie glauben, dass Sie hier jemanden ausrauben können, muss ich Sie informieren, dass überall Sicherheitskameras installiert sind. Und wir haben eine Alarmanlage. Die Polizei kann in wenigen Sekunden hier sein.“
„Sie beide müssen verwandt sein“, bemerkte Callahan trocken.
Ich schmunzelte. „Meine Großmutter, Eleanor Winfield. Mémé, das ist mein Nachbar Callahan O’Shea.“
„Oh, der Ire.“ Sie schnaubte verächtlich. „Leih ihm bloß kein Geld, Grace. Das vertrinkt er nur. Und lass ihn um Gottes willen nicht in dein Haus. Die stehlen.“
„Ja, so etwas habe ich gehört“, erwiderte ich schmunzelnd. Callahan lächelte mich an, und da war wieder dieses warme, ziehende Gefühl in meinem Unterleib.
„Als ich Kind war, hatten wir ein irisches Dienstmädchen“, fuhr Mémé fort. Sie musterte Callahan mit verkniffenem Gesicht. „Eileen hieß sie. Oder Irene. Vielleicht auch Colleen. Kennen Sie sie?“
„Meine Mutter“, sagte Callahan spontan. Ich hätte beinahe losgeprustet.
„Sie hat uns sieben Löffel gestohlen, bis mein Vater sie dann erwischte. Sieben!“
„Oh, was haben wir diese Löffel geliebt“, sagte er. „Wir hatten ja so viel Spaß – haben damit gegessen, uns gegenseitig auf den Kopf gehauen und sie nach den Schweinen in unserer Küche geworfen. Was für eine glückliche Zeit!“
„Das ist nicht lustig, junger Mann“, empörte sich Mémé.
Ich fand es sehr lustig. Tatsächlich wischte ich mir die Tränen aus den Augen vor Lachen. „Besuchen Sie Ihren Großvater, Callahan?“, konnte ich gerade noch hervorbringen.
„Genau“, erwiderte er.
„Wie geht es ihm? Meinen Sie, er will, dass ich wiederkomme und den Rest vom Grafen und Clarissia lese?“
Er grinste. „Da bin ich mir ganz sicher.“
Ich lächelte zurück. „Einen Moment lang dachte ich, Sie wären wegen Ihres Wagens hier.“
Sein Lächeln versiegte. „Was ist mit meinem Wagen?“ Ich spürte, dass ich rot wurde. „Es ist kaum zu sehen.“ „Was, Grace?“
„Nur ein kleiner Kratzer“, erwiderte ich und zog schuldbewusst die Schultern hoch. „Vielleicht ist das Rücklicht kaputt.“ Er runzelte die Stirn. „Tatsächlich ist es ganz sicher kap… Hey, ich bin versichert.“
„Das müssen Sie auch sein“, brummte er.
„Grace! Bring mich zu meinem Apartment“, befahl Mémé.
„Ganz ruhig, Pascha“, erwiderte ich. „Ich rede mit meinem Nachbarn.“
„Mach das doch morgen.“ Böse sah sie zu Callahan auf, und er starrte böse zurück. Ich musste wieder grinsen. Es gefiel mir, wenn ein Mann sich von Mémé nicht einschüchtern ließ – davon gab es nicht viele.
„Wie sind Sie hergekommen, Callahan?“, wollte ich wissen. „Denn ich kann ja wohl davon ausgehen, dass Sie nicht das Auto genommen haben.“
„Mit dem Fahrrad“, antwortete er.
„Soll ich Sie mit zurücknehmen? Es ist schon dunkel“, bot ich an.
Eine Sekunde lang musterte er mich nur. Dann huschte ein feines Lächeln über seine Lippen, und mir kribbelte es schon wieder im Bauch. „Gern. Danke, Grace.“
„Du sollest ihn lieber nicht mitnehmen!“, entrüstete sich Mémé. „Wahrscheinlich wird er dich erwürgen und deine Leiche im See versenken.“
„Stimmt das?“, fragte ich Callahan.
„Ich hatte daran gedacht“, gestand er.
„Tja, Ihr schmutziges Geheimnis ist durchschaut.“
Er schmunzelte. „Erlauben Sie?“ Er fasste die
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