Ich habe mich verträumt
… na ja, wie Natalie. Und ich wollte einen Mann, der mich so ansah, wie Andrew Natalie ansah. Nicht wie Callahan, der mich ansah, als würde er jedes noch so kleine schmutzige Geheimnis von mir kennen.
17. KAPITEL
I ch saß noch spätabends in der Manning und stellte meine Präsentation für den Ausschuss zusammen, als unverhofft Stuart hereinschneite.
„Hallo Stuart!“ Ich stand auf, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.
„Wie geht es dir, Grace?“, fragte er höflich nach.
„Ach, ganz gut“, antwortete ich. „Nimm doch Platz. Möchtest du einen Kaffee oder irgendwas?“
„Nein danke. Ich möchte nur ein paar Minuten deiner Zeit.“
Stuart sah schrecklich aus. Er hatte dunkle Ringe unter den müden Augen, und in seinem Bart schimmerte ein Grau, das vor wenigen Wochen noch nicht da gewesen war. Obwohl wir an derselben Schule arbeiteten, sahen wir uns selten, da Stuarts Büro sich in Caybridge Hall auf der südlichen Seite des Campus befand und damit weit entfernt von Lehring, wo der Fachbereich Geschichte passenderweise in einem der ältesten Gebäude untergebracht war.
Ich setzte mich wieder hinter meinen Schreibtisch und sah Stuart an. „Willst du über Margaret sprechen?“, fragte ich leise.
Er blickte zu Boden. „Grace …“ Er schüttelte den Kopf. „Hat sie dir erzählt, warum wir … getrennt sind?“
„Ähm …“ Ich überlegte, da ich nicht wusste, wie viel ich ihm sagen sollte. „Sie hat ein paar Sachen angedeutet.“
„Ich habe vorgeschlagen, dass wir doch ein Kind haben könnten“, sagte er da. „Und sie ist quasi explodiert. Wie es scheint, haben wir auf einmal alle möglichen Probleme, von denen ich vorher nie etwas gemerkt hatte. Anscheinend bin ich langweilig. Ich erzähle nicht genug von der Arbeit. Sie hat das Gefühl, mit einem Fremden zu leben. Oder einem Bruder. Oder einem Neunzigjährigen. Wir haben nicht genug Spaß, wir packen nicht einfach die Zahnbürste ein und fliegen auf die Bahamas – und das, wo sie siebzig Stunden pro Woche arbeitet. Grace! Wenn ich vorschlagen würde, dass wir irgendwo hinfliegen, würde sie mich umbringen!“
Da hatte er sicherlich recht. Margaret war ziemlich ungestüm, um es mal freundlich auszudrücken.
Stuart seufzte schwer. „Dabei wollte ich doch lediglich darüber reden – nur reden –, ob wir nicht vielleicht doch ein Kind haben wollen. Wir haben uns gegen Kinder entschieden, als wir fünfundzwanzig waren, Grace. Das ist lange her. Ich dachte, wir könnten es einfach noch mal neu überdenken. Und jetzt sagt sie, sie will die Scheidung.“
„Scheidung?“, krächzte ich. „Mist. Das wusste ich nicht, Stuart.“ Ich schwieg eine Weile, dann sagte ich: „Aber du kennst Margaret doch. Sie ist immer gleich so aufbrausend. Ich bezweifle, dass sie wirklich …“ Ich brach ab. Ich hatte keine Ahnung, was Margaret wollte. Einerseits konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie sich einfach so von Stuart scheiden ließe. Andererseits war sie schon immer sehr impulsiv gewesen. Und absolut unfähig, einen Fehler zuzugeben, wenn sie sich geirrt hatte.
„Was soll ich tun?“, fragte Stuart bedrückt.
„Ach, Stuart!“ Ich stand auf, ging zu ihm hin und tätschelte unbeholfen seine Schulter. „Hör zu“, sagte ich, „eines, was sie mir gesagt hat, war, dass …“ ihr Sex nur zu fest verabredeten Zeiten habt … Ich schnitt eine Grimasse. „Äh, vielleicht war alles ein bisschen zu sehr … Routine? Bei euch beiden? Hin und wieder also eine kleine Überraschung …“, auf dem Küchentisch , „… wäre vielleicht nicht schlecht. Nur um ihr zu zeigen, dass du sie wirklich … ernst nimmst?“
„Aber ich nehme sie doch ernst“, protestierte er und wischte sich kurz über die Augen. „Ich liebe sie, Grace. Ich habe sie immer geliebt. Ich verstehe nicht, warum das plötzlich nicht mehr ausreicht.“
Zum Glück war meine Schwester nicht da, als ich nach Hause kam. Wie Stuart schon sagte, arbeitete sie immer sehr lange in ihrer Kanzlei. Ich bereitete ein kleines Abendessen zu und machte mich dann für meinen Senioren-Tanzabend fertig.
Callahan war in den letzten Tagen mit seinem eigenen Haus beschäftigt gewesen, und seit seiner Aufforderung, ihn nichtmehr zu beobachten, hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Durch mein Fenster betrachtete ich das neu gedeckte Dach mit der hübschen kleinen Dachterrasse hinten. Seit zwei Tagen arbeitete er vornehmlich im Inneren des Hauses, sodass ich ihn nicht mehr heimlich bewundern konnte.
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