Ich habe mich verträumt
sagte er und schnallte sich an.
„Ich bin nicht sauer!“ Diesmal schrie ich es fast.
„Wie Sie meinen.“ Er streifte mich mit seinem Arm, und ich hatte das Gefühl, als würde ein elektrischer Schlag durch meinen Körper fahren. Reglos starrte ich geradeaus und wartete, dass es verebbte.
Callahan sah mich an. „Sitzt der Hund immer auf Ihrem Schoß, wenn Sie fahren?“
„Wie soll er es sonst lernen, wenn er nicht übt?“ Callahan schmunzelte, und ich merkte, wie mein Ärger (ja, okay, ich war tatsächlich ein bisschen sauer) nachließ. Die Erregung jedoch blieb. Rückwärts (und sehr vorsichtig) manövrierte ich aus der Parklücke. Callahan O’Shea roch gut. Irgendwie warm. Nach Holz und Regen – eine unglaublich angenehme Kombination. Ich fragte mich, ob er wohl etwas dagegen hätte, wenn ich mein Gesicht eine Weile an seinen Hals drücken würde. Allerdings sollte ich das lieber nicht beim Fahren tun.
„Wie geht es Ihrem Großvater denn so?“, erkundigte ich mich.
„Keine Veränderung.“ Callahan starrte aus dem Fenster.
„Was denken Sie: Kann er Sie erkennen?“ Zu spät fiel mir ein, dass mich das überhaupt nichts anging.
Callahan schwieg eine Weile. „Nein, ich glaube nicht.“
Hundert Fragen drängten sich mir auf. Weiß er, dass Sie im Gefängnis waren? Was haben Sie vorher gemacht? Warum spricht Ihr Bruder nicht mehr mit Ihnen? Warum haben Sie es getan?
„Also, Callahan“, begann ich, während ich mit Angus’ Unterstützung links in die Elm Street abbog, „wie kommen Sie mit dem Haus voran?“
„Ganz gut“, antwortete er. „Sie sollten mal vorbeikommen und es sich ansehen.“
„Sicher.“ Ich zögerte, entschied dann aber, es geradeheraus zu fragen. „Callahan – was haben Sie eigentlich vor dem Gefängnis gemacht?“
„Ich war Buchhalter.“
„Ach ja?“ Ich hätte eher auf etwas in der freien Natur getippt– Cowboy, zum Beispiel. Nicht auf eine Arbeit am Schreibtisch. „Und wollen Sie das wieder machen? Das ist doch recht langweilig, oder?“
„Ich habe meine Lizenz verloren, Grace. Ich habe das Gesetz gebrochen.“
Ach, verdammt. Genau. „Und warum haben Sie das Gesetz gebrochen?“, fragte ich nach.
„Warum wollen Sie das so unbedingt wissen?“
„Darum!“, erwiderte ich. „Man wohnt schließlich nicht jeden Tag neben einem verurteilten Verbrecher.“
„Vielleicht will ich ja nicht als verurteilter Verbrecher betrachtet werden, Grace. Vielleicht will ich als der Mensch betrachtet werden, der ich jetzt bin. Die verlorene Zeit wieder aufholen und die Vergangenheit hinter mir lassen und all diesen Kram.“
„Ach, wie süß! Tja, ich bin Geschichtslehrerin, Mr O’Shea. Für mich spielt die Vergangenheit nun mal eine große Rolle.“
„Da bin ich sicher.“ Seine Stimme war kühl.
„Der beste Indikator für die Zukunft ist das Verhalten in der Vergangenheit“, zitierte ich.
„Wer hat das gesagt? Abraham Lincoln?“
„Tatsächlich war das Dr. Phil. Der mit der Talkshow.“ Ich lächelte. Callahan blieb ernst.
„Was wollen Sie damit sagen, Grace? Dass Sie erwarten, dass ich auch Ihr Geld veruntreue?“
„Nein! Nur … na ja, Sie hatten offenbar das Bedürfnis, das Gesetz zu brechen – also, was sagt mir das? Irgendetwas muss es bedeuten, aber da Sie Ihren Mund ja nicht aufmachen und reden, weiß ich nicht, was.“
„Was sagt Ihre Vergangenheit denn über Sie?“, fragte er zurück.
Meine Vergangenheit war Andrew. Was sagte das aus? Dass ich keine gute Menschenkenntnis besaß? Dass ich, verglichen mit Natalie, schlechter abschnitt? Dass ich nicht gut genug war? Dass Andrew ein Arschloch war?
„Da ist der See“, sagte ich. „Wenn Sie vorhaben, meine Leiche zu entsorgen, sollten Sie es besser jetzt tun.“
Er zog einen Mundwinkel hoch, schwieg aber.
Wir bogen in unsere Straße ein. „Also, Ihr Wagen …“, begann ich. „Das tut mir wirklich leid. Ich werde gleich morgen meine Versicherung anrufen.“
„Die haben Sie ja bestimmt als Kurzwahlnummer gespeichert“, kommentierte Callahan trocken.
„Sehr witzig.“
Er lachte, ein kehliges, tiefes Lachen, das ich direkt in meinem Unterleib spürte. „Danke fürs Mitnehmen, Grace.“
„Falls Sie jemals Ihre Sünden beichten wollen – ich stehe bereit.“
„So, so. Jetzt sind Sie also vom Märtyrer zum Priester avanciert. Gute Nacht, Grace.“
18. KAPITEL
D er ist … äh, wunderschön“, sagte ich und musste mehrfach blinzeln, als ich den Ring betrachtete. Verdammt, das war
Weitere Kostenlose Bücher