Ich habe sie geliebt
fähig bist? Das ist vertane Zeit. Was machst du da eigentlich? Kopien? Abgüsse? Bastelarbeiten? Klasse! Wie lange noch? Bis zur Rente? Erzähl mir nicht, daß du in diesem Rattenloch glücklich bist.«
»Nein, nein«, sagte ich in ironischem Ton, »sei ganz beruhigt, das werde ich dir nicht erzählen.«
»Wenn ich dein Liebhaber wäre, würde ich dich am Kragen packen und dich wieder ans Licht holen. Du hast etwas auf dem Kasten, und das weißt du auch. Stell dich dem. Stell dich deinen Talenten. Übernimm die Verantwortung. Ich persönlich würde dich irgendwo hinsetzen und sagen: ›Jetzt bist du dran. Mach schon, Chloé. Zeig uns, was du drauf hast.‹«
»Und wenn ich nichts drauf habe?«
»Dann würden wir es auf diese Weise wenigstens erfahren. Und hör auf, dir auf die Lippen zu beißen, das tut mir weh.«
»Warum hast du so viele gute Ideen für andere und so wenige für dich?«
»Diese Frage habe ich schon beantwortet.«
»Was ist?«
»Ich hatte gemeint, Marion weinen zu hören.«
»Ich hör …«
»Psst.«
»Alles in Ordnung, sie ist wieder eingeschlafen.«
Ich setzte mich wieder hin und zog die Decke über mich.
»Soll ich nachschauen?«
»Nein, nein. Warten wir noch einen Moment.«
»Und was habe ich deiner Meinung nach verdient, Monsieur-Alleswisser?«
»Du hast es verdient, als das behandelt zu werden, was du bist.«
»Das heißt?«
»Als Prinzessin. Als moderne Prinzessin.«
»Pfff – Blödsinn.«
»Ja, ich bin gerne bereit, Blödsinn zu reden. Den allergrößten Blödsinn, wenn er dich nur zum Lachen bringt… Schenk mir ein Lächeln, Chloé.«
»Du bist verrückt.«
Er war aufgestanden.
»Ah, perfekt! Das gefällt mir schon besser. Du redest jetzt weniger dummes Zeug. Ja, ich bin verrückt, und weißt du, was noch? Ich bin verrückt, und ich habe Hunger! Was könnte ich wohl zum Nachtisch essen?«
»Sieh im Kühlschrank nach. Die Joghurts der Mädchen müssen noch weg.«
»Wo denn?«
»Ganz unten.«
»Die kleinen rosa Dinger?«
»Ja.«
»Nicht schlecht.«
Er leckte den Löffel ab.
»Hast du gesehen, wie sie heißen?«
»Nein.«
»Sieh nach, das ist speziell für dich.«
»Petits Filous – sehr treffend.«
*
»Wir sollten jetzt lieber schlafen gehen, meinst du nicht?«
»Ja.«
»Bist du müde?«
Ich war traurig.
»Wie soll ich denn schlafen bei allem, worüber wir gesprochen haben? Ich habe das Gefühl, in einem riesigen Kessel zu rühren …«
»Ich entwirre mein Knäuel, du rührst im Kessel. Witzig, was für Bilder wir verwenden.«
»Du das Mathegenie und ich das Muttchen.«
»Das Muttchen? So ein Unsinn. Meine Prinzessin, ein Muttchen – o je o je! Was du heute abend für einen Blödsinn erzählst.«
»Du bist schwierig, oder?«
»Sehr.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht, weil ich sage, was ich denke. Das ist nicht gerade üblich. Ich habe keine Angst mehr davor, daß man mich nicht mag.«
»Auch nicht bei mir?«
»Ach, du, du magst mich, darüber mache ich mir keine Sorgen!«
»Pierre?«
»Ja.«
»Was war mit Mathilde?«
Er sah mich an. Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Er schlug ein Bein über das andere und stellte sie wieder nebeneinander. Er stand auf. Er schürte das Feuer und wirbelte die Glut durcheinander. Er senkte den Kopf und sagte:
»Nichts. Nichts war. Oder nur wenig. Nur wenige Tage, nur wenige Stunden. Fast nichts im Grunde.«
»Magst du nicht darüber reden?«
»Ich weiß nicht.«
»Hast du sie nie wiedergesehen?«
»Doch. Einmal. Vor ein paar Jahren. Im Garten des Palais-Royal.«
»Und?«
»Nichts und.«
»Wie hast du sie kennengelernt?«
»Du weißt ja. Wenn ich anfange, weiß ich nicht, ob ich je wieder aufhöre.«
»Ich habe dir doch schon gesagt, ich bin nicht müde.«
Er beugte sich über Pauls Zeichnung und fing an, sie eingehend zu studieren. Die Worte leisteten Widerstand.
»Wann war es?«
»Es war – ich habe sie zum ersten Mal am 8. Juni 1978 gegen elf Uhr Ortszeit in Hongkong gesehen. Wir befanden uns in der neunundzwanzigsten Etage des Hyatt Tower im Büro eines Monsieur Singh, der mich brauchte, um irgendwo in Taiwan zu bohren. Warum lächelst du?«
»Das nenn ich präzise. Hat sie mit dir zusammengearbeitet?«
»Sie war meine Dolmetscherin.«
»Aus dem Chinesischen?«
»Nein, aus dem Englischen.«
»Aber du sprichst doch englisch?«
»Nicht gut. Nicht gut genug, um diese Art Geschäfte zu machen, das ist alles dermaßen heikel. Auf dieser Ebene geht es nicht mehr um
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