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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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dann?«
    »Du hast mich in meinem Schwung gebremst.«
    »Ich sage nichts mehr.«
    »…«
    »Und dann?«
    »Was dann?«
    »Mit dem Schlitzauge, wie ist es gelaufen?«
    »Du lächelst. Warum lächelst du? Sag schon!«
    »Ich lächele, weil es unglaublich war, weil sie unglaublich war, weil die ganze Situation völlig unglaublich war.«
    »Hör auf, vor dich hinzulächeln! Erzähl schon! Erzähl schon, Pierre!«
    »Na ja, zunächst zog sie ein Etui aus ihrer Handtasche, ein kleines Plastiketui, Krokodilimitat. Sie tat es mit Würde und Stil. Anschließend setzte sie sich eine gräßliche Brille auf die Nase. Du weißt schon, eine dieser kleinen strengen Brillen mit weißem Eisengestell. Stil pensionierte Lehrerin. Und von diesem Moment an war ihr Gesicht verschlossen. Sie sah mich jetzt anders an als vorher. Sie hielt meinem Blick stand und wartete darauf, daß ich meine Lektion aufsagte.
    Ich redete, sie übersetzte. Ich war fasziniert, denn sie begann ihre Sätze, bevor ich meine beendet hatte. Ich weiß nicht, wie sie diese Kraftanstrengung bewältigte. Sie hörte zu und wiederholte fast gleichzeitig, was ich sagte. Simultanübersetzen war das. Es war faszinierend. Wirklich. Am Anfang sprach ich langsam, und dann immer schneller. Ich glaube, ich habe versucht, sie ein wenig aus der Fassung zu bringen. Sie verzog keine Miene. Im Gegenteil, sie machte sich einen Spaß daraus, meine Sätze vor mir zu beenden. Schon damals gab sie mir zu verstehen, wie vorhersagbar ich war.
    Und dann stand sie auf, um an einer Tafel irgendwelche Kurven zu erklären. Ich nutzte die Gelegenheit, um mir ihre Beine anzuschauen. Sie hatte etwas leicht Antiquiertes, Altmodisches, total Anachronistisches. Sie trug einen Schottenrock bis zu den Knien, ein dunkelgrünes Twin-Set – warum lachst du schon wieder?«
    »Weil du ›Twin-Set‹ sagst. Das bringt mich zum Lachen.«
    »Na hör mal! Was ist denn daran so witzig! Was soll ich denn sonst sagen?«
    »Nichts, nichts.«
    »Du bist dumm.«
    »Ich bin schon still, ich bin schon still.«
    »Sogar ihr Büstenhalter war altmodisch. Sie hatte die Gänsebrüstchen der Mädchen aus meiner Jugend. Hübsche Brüste, nicht sehr dick, ein wenig auseinanderstehend, spitz – Gänsebrüstchen halt. Und dann faszinierte mich ihr Bauch. Dieses pralle, runde Bäuchlein, rund wie ein Vogelbäuchlein. Dieses herzige Bäuchlein, das die Karos auf ihrem Rock verzerrte und das ich sozusagen schon in Reichweite fand. Ich versuchte, einen Blick auf ihre Füße zu erhaschen, da bemerkte ich ihre Verwirrung. Sie hatte aufgehört zu reden. Sie war ganz rot angelaufen. Ihre Stirn, ihre Wangen, ihr Hals waren rosarot. Rosarot wie kleine Garnelen. Sie sah mich bestürzt an.
    ›Was ist los?‹ fragte ich.
    ›Sie – haben Sie nicht verstanden, was er gesagt hat?‹
    ›Nn… Nein. Was hat er gesagt?‹
    ›Haben Sie es nicht verstanden, oder haben Sie nicht hingehört?‹
    ›Ich – ich weiß nicht. Ich habe nicht zugehört, glaube ich …‹
    Sie sah zu Boden. Sie war gerührt. Ich rechnete mit dem Schlimmsten, dem Unheil, dem großen Schnitzer, der Riesendummheit – und damit, daß ich die Geschäfte in den Sand setzte, während sie ihren Haarknoten straff zog.
    ›Was ist los? Gibt’s Probleme?‹
    Der Chinese lachte, sagte etwas zu ihr, das ich immer noch nicht verstand. Ich war vollkommen verloren. Ich verstand nichts. Ich wirkte wie ein Idiot, jawohl!
    ›Was sagt er denn? Sagen Sie mir, was er sagt!!‹
    Sie stammelte etwas.
    ›Die Sache geht schief, nicht wahr?‹
    ›Nein, nein, ich glaube nicht …‹
    ›Was dann?‹
    ›Monsieur Singh überlegt, ob es eine gute Idee ist, heute einen derart großen Auftrag mit Ihnen zu besprechen …‹
    ›Warum denn? Ist etwas nicht in Ordnung?‹
    Ich wandte mich ihm zu, um ihn zu beruhigen. Ich nickte übertrieben mit dem Kopf und versuchte ein gewinnendes Lächeln à la french manager . Ich muß sehr lächerlich gewirkt haben. Und der Dicke, der sich die ganze Zeit köstlich amüsierte. Er lächelte so verschmitzt, daß man seine Augen nicht mehr erkennen konnte.
    ›Habe ich etwas Dummes gesagt?‹
    ›Nein.‹
    ›Haben Sie etwas Dummes gesagt?‹
    ›Ich? Aber nein! Ich beschränke mich darauf, Ihr Kauderwelsch zu wiederholen!‹
    ›Was ist es denn dann?!‹
    Ich spürte, wie sich dicke Schweißtropfen unter meinen Achseln lösten.
    Sie lachte, fächelte sich Luft zu. Wirkte ein bißchen nervös.
    ›Monsieur Singh sagt, Sie seien unkonzentriert.‹
    ›Aber

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