Ich habe sie geliebt
sie, wenn ich jetzt ihre Mutter verlasse …‹ Begreifst du das Drama? ›Wie könnten sie es verkraften? Und was für ein Durcheinander würde ich anrichten? Was für eine nicht wiedergutzumachende Schmach? Ich war kein perfekter Vater, auf keinen Fall, aber ich bin das natürlichste, das naheliegendste Vorbild, also – hm hm – muß ich mich benehmen.‹«
Er klang gequält.
»Hört sich gut an, nicht wahr? Gib zu, daß es herrlich klingt, oder?«
Ich schwieg.
»Ich dachte vor allem an Adrien – meinem Sohn Adrien ein Vorbild an Pflichterfüllung zu sein. Du darfst mich gerne auslachen, weißt du. Tu dir keinen Zwang an. Man hat nicht so oft die Gelegenheit, eine gute Geschichte zu hören.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Und doch – ach, was soll das alles? Das Ganze ist so lange her – so lange her.«
»Und doch was?«
»Nun ja. Irgendwann stand ich ganz nah am Abgrund – wirklich ganz nah. Ich hatte die ersten Schritte unternommen, um eine kleine Wohnung zu finden, ich überlegte, Christine am Wochenende mitzunehmen, ich dachte über die richtigen Worte nach und spielte im Geist einige Szenen im Auto durch. Ich hatte sogar mit meinem Steuerberater gesprochen, und dann eines Morgens, da siehst du, wie das Leben so spielt, kam Françoise tränenüberströmt zu mir ins Büro.«
»Françoise? Deine Sekretärin?«
»Ja.«
»Ihr Mann hatte sie sitzenlassen. Ich erkannte sie nicht wieder. Sie, die so temperamentvoll war, so energisch, diese kleine Frau, die sich und das Universum gleichermaßen im Griff hatte, sah ich von einem Tag auf den anderen verkümmern. Sie weinte, nahm ab, kam im Leben nicht mehr zurecht und litt. Litt unglaublich. Nahm Medikamente, nahm weiterhin ab, brachte die erste Krankmeldung ihres Lebens. Weinte. Sogar vor mir. Und in dieser Situation, was war ich für ein bewundernswerter Mensch, wenn ich daran zurückdenke, damals nahm ich allen Mut zusammen und heulte mit den Wölfen. Was für ein Dreckskerl, pflichtete ich ihr bei, was für ein Dreckskerl. Wie kann man seiner Frau so etwas antun? Wie kann man so egoistisch sein? Die Tür hinter sich zumachen und sich die Hände reiben. Aus seinem Leben heraustreten, als würde man zu einem Spaziergang aufbrechen. Aber, aber, das ist zu einfach! Zu einfach!
Nein, also wirklich, was für ein Dreckskerl. Was für ein Dreckskerl, dieser Mann! Ich, Monsieur, bin nicht so wie Sie! Ich, Monsieur, lasse meine Frau nicht sitzen. Ich lasse meine Frau nicht sitzen, und ich verachte Sie – jawohl, ich verachte Sie aus tiefster Seele, mein Lieber!
Genau das dachte ich. Überglücklich, so billig dabei wegzukommen. Überglücklich, mich bequem zurücklehnen und mein Ego streicheln zu können. O ja, ich habe sie unterstützt, meine Françoise, ich habe sie verhätschelt. O ja, ich habe ihr häufig beigepflichtet, o nein, habe ich immer wieder wiederholt: Was hatten Sie aber auch für ein Pech. Was für ein Pech.
Eigentlich sollte ich ihn insgeheim lobpreisen, diesen Monsieur Jarmet, den ich nicht einmal kannte. Ich sollte ihn insgeheim lobpreisen. Er präsentierte mir die Lösung auf einem Silbertablett. Dank seiner, dank seiner Schandtat konnte ich hocherhobenen Hauptes zu meiner Bequemlichkeit zurückkehren. Arbeit, Familie, Vaterland, ich war dabei. Hocherhobenen Hauptes und unerschütterlich! Ich bezog eine gewisse Eitelkeit daraus, wie du dir denken kannst, du kennst mich ja. Ich war zu der angenehmen Schlußfolgerung gelangt, daß – ich nicht so war wie die anderen. Ich stand ein wenig über ihnen. Wenig zwar, aber dennoch über ihnen. Ich ließ meine Frau nicht sitzen, ich nicht.«
»War das der Moment, mit Mathilde zu brechen?«
»Weshalb denn? Nein, auf keinen Fall. Ich habe sie weiterhin gesehen, nur meine Fluchtpläne habe ich begraben und aufgehört, meine Zeit auf der Suche nach erbärmlichen Einzimmerwohnungen zu vergeuden. Denn, wie du verstehst und wie ich dir soeben brillant demonstriert habe, ich gehörte nicht zu dieser Brut, ich stach nicht in ein Wespennest. Das war etwas für Verantwortungslose. Für die Ehemänner von Tippsen.«
Er war voller Sarkasmus und zitterte vor Wut.
»Nein, ich habe nicht mit ihr gebrochen, ich habe sie weiterhin zärtlich besprungen und sie auf ewig und drei Tage vertröstet.«
»Ist das wahr?«
»Ja.«
»Habt ihr wie in diesen schäbigen Schundromanen geredet?«
»Ja.«
»Du hast sie gebeten, Geduld zu haben, und ihr die Sterne am Himmel versprochen?«
»Ja.«
»Wie hat sie das nur
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