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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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gewesen. Aber so war es nicht, und wir kommen hier zum eigentlichen Kern des Problems, denn so habe ich nicht gedacht. Fast habe ich sogar gehofft, daß es abstürzt. Mein Leben wäre dadurch um vieles leichter geworden.«
    »Du hast soeben die Frau deines Lebens kennengelernt und denkst darüber nach zu sterben?«
    »Ich habe nicht gesagt, daß ich sterben wollte!«
    »Nein, das habe ich auch nicht gesagt. Ich habe gesagt: ›du denkst darüber nach‹ zu sterben.«
    »Ich glaube, ich denke jeden Tag darüber nach zu sterben, du nicht?«
    »Nein.«
    »Denkst du, daß dein Leben etwas wert ist?«
    »Äh – ja, ein bißchen was, doch – und außerdem sind da noch die Kleinen.«
    »Das ist ein guter Grund.«
    Er hatte sich in seinen Sessel sinken lassen, und sein Gesicht war von neuem verschwunden.
    »Ja. Ich gebe dir recht, es war absurd. Aber ich war gerade so glücklich gewesen. So glücklich. Ich war überrascht und auch ein wenig erschrocken. War es denn normal, so glücklich zu sein? War es gerecht? Welchen Preis würde ich dafür zahlen müssen?
    Denn – war es meine schwerfällige Erziehung oder die Ausbildung bei den Patres? War es mein Charakter? Ich weiß nicht genau, ob ich das auseinanderdividieren kann, sicher ist nur, daß ich mich von jeher mit einem Ackergaul verglichen habe. Das Gebiß, das Zaumzeug, die Scheuklappen, die Deichsel, die Pflugschar, das Joch, der Karren, die Furche – alles, was dazugehört. Seit ich ein kleiner Junge war, laufe ich gesenkten Hauptes durch die Straßen und sehe starr auf den Boden, als sei er eine Kruste, die jederzeit aufreißen kann, oder eine ausgetrocknete Rinde.
    Die Hochzeit, die Familie, die Arbeit, die verschlungenen Pfade des gesellschaftlichen Lebens, alles. Ich habe alles mit gesenktem Kopf und zusammengebissenen Zähnen durchlaufen. Alles mit Argwohn beäugt. Übrigens bin ich, nein, war ich gut im Squash, und das ist kein Zufall: Es gefiel mir, mich in einem winzigen Raum eingeschlossen zu fühlen und mit aller Kraft auf einen Ball einzuschlagen, der dann wie eine Kanonenkugel zu mir zurückkam. Das fand ich toll.
    ›Du spielst gerne Squash und ich Jokari, das erklärt alles‹, hatte Mathilde eines Abends knapp erklärt, als sie meine schmerzende rechte Schulter massierte. Sie hatte einen Moment geschwiegen und dann hinzugefügt: ›Du solltest über meine Worte nachdenken, sie sind gar nicht so dumm. Leute, die innerlich starr sind, prallen auf das Leben und tun sich ständig weh, während Leute, die weich sind – nein, nicht weich, eher biegsam vielleicht, ja, genau, innerlich biegsam, na ja, wenn diese einen Schlag abkriegen, leiden sie weniger. Ich glaube, du solltest anfangen, Jokari zu spielen, das ist viel lustiger. Du schlägst auf den Ball, du weißt nicht, in welche Richtung er zurückspringt, aber du weißt, daß er zurückkommt wegen des Gummiseils, und diese Spannung ist herrlich. Weißt du, ich, zum Beispiel, nun, ich habe häufig das Gefühl – dein Jokariball zu sein.‹
    Ich sah nicht auf, und sie fuhr fort, mich schweigend zu rubbeln.«
    »Hast du nie in Erwägung gezogen, mit ihr ein neues Leben anzufangen?«
    »Doch, natürlich. Tausendmal.
    Tausendmal habe ich es gewollt, und tausendmal habe ich es unterlassen. Ich wagte mich bis an den Rand des Abgrunds vor, beugte mich darüber und rannte eilig wieder davon. Ich fühlte mich für Suzanne verantwortlich, für die Kinder.
    Inwiefern verantwortlich? Noch so eine unbequeme Frage. Ich hatte mich gebunden. Ich hatte unterschrieben, ich hatte ein Gelübde abgelegt, ich mußte die Folgen tragen. Adrien war sechzehn, und nichts lief, wie es sollte. Er wechselte von einem Gymnasium aufs andere, schrieb im Fahrstuhl No future an die Wand und hatte nur eine Idee im Kopf: nach London zu fahren und mit einer Ratte auf der Schulter wiederzukommen. Suzanne war am Boden zerstört. Sie traf auf Widerstand. Wer hatte ihren kleinen Jungen so verändert? Zum ersten Mal sah ich sie auf ihrem Sockel wanken, und sie saß ganze Abende da, ohne den Mund aufzumachen. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, die Situation noch zu erschweren. Und außerdem dachte ich – ich dachte …«
    »Was dachtest du?«
    »Warte, es ist dermaßen grotesk. Ich muß die Worte von damals wiederfinden. Ich dachte wohl etwas wie: ›Ich bin ein Vorbild für meine Kinder. Sie stehen am Anfang ihres Lebens, bald sind sie unter Druck, sind in dem Alter, wo sie sich entscheiden müssen. Was für ein klägliches Vorbild für

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