Ich habe sie geliebt
nie betrunken war, aber sei’s drum …
Er hörte auf zu reden und zu gestikulieren, und wir blieben lange so sitzen. Schweigend. Und zählten die kleinen Scharmützel des Feuers im Kamin.
*
»Meine Geschichte von Françoise ist noch nicht zu Ende.«
Er hatte sich beruhigt, und ich mußte jetzt die Ohren spitzen, um ihn zu verstehen.
»Vor einigen Jahren, ich glaube ’94, erkrankte sie schwer – sehr schwer. Irgend so ein verfluchter Krebs fraß ihr den ganzen Bauch auf. Man hat ihr zuerst einen Eierstock herausgenommen, dann den zweiten, dann die Gebärmutter. Viel mehr weiß ich nicht, denn ich gehörte nicht zu ihren engsten Vertrauten, wie du dir denken kannst, aber es stellte sich heraus, daß es viel schlimmer war als zunächst gedacht. Françoise zählte die Wochen, die ihr noch blieben. Sie hoffte auf Weihnachten, Ostern schien zuviel verlangt.
Eines Tages rief ich sie im Krankenhaus an und schlug ihr vor, sie mit einer fürstlichen Abfindung zu entlassen, damit sie, wenn sie aus dem Krankenhaus käme, eine Weltreise machen konnte. Sie sollte zu den berühmtesten Couturiers gehen, sich die schönsten Kleider aussuchen, auf dem Deck eines riesigen Passagierschiffs flanieren und dabei genüßlich ihren Pimm’s schlürfen. Françoise liebt Pimm’s.
›Behalten Sie lieber Ihr Geld, ich werde mit den Kollegen anstoßen an dem Tag, an dem Sie in Rente gehen!‹
Wir machten unsere Späße. Wir waren gute Komödianten, mit trockener Kehle, aber stets einen fröhlichen Spruch auf den Lippen. Die jüngsten Prognosen waren verheerend. Ich hatte sie von ihrer Tochter erfahren. Weihnachten wurde unwahrscheinlich.
›Glauben Sie nicht alles, was erzählt wird, noch ist es nicht soweit, daß Sie mich durch so ein junges Mädel ersetzen könnten …‹ hatte sie noch mit tonloser Stimme hinzugesetzt, bevor sie auflegte. Ich tat, als würde ich eine Antwort brummen, und fand mich mitten am Tag mit Tränen in den Augen wieder. Ich hatte soeben gemerkt, wie sehr ich sie mochte, auch sie. Wie sehr ich sie brauchte. Siebzehn Jahre arbeiteten wir jetzt schon zusammen. Ununterbrochen. Jeden Tag. Siebzehn Jahre ertrug sie mich schon, unterstützte sie mich. Sie wußte von Mathilde und hatte nie etwas gesagt. Weder zu mir noch zu sonst jemand. Sie hatte mir zugelächelt, wenn ich unglücklich war, und mit den Schultern gezuckt, wenn sie mich unausstehlich fand. Sie war gerade mal zwanzig gewesen, als sie hier anfing. Sie konnte nichts. Sie hatte die Hotelfachschule abgeschlossen und ihre Schürze abgelegt, weil ein Koch sie in den Hintern gezwickt hatte. Sie wollte nicht, daß man sie in den Hintern zwickte. Das hatte sie mir beim Vorstellungsgespräch erzählt. Sie wollte nicht, daß man sie in den Hintern zwickte, und sie wollte nicht zu ihren Eltern ins Département Creuse zurück. Sie würde erst dann dorthin zurückkehren, wenn sie ihr eigenes Auto hätte, um sicherzugehen, daß sie wieder wegfahren konnte! Wegen dieser Äußerung hatte ich sie eingestellt.
Auch sie war meine Prinzessin.
Ich rief sie von Zeit zu Zeit an und redete schlecht über ihre Nachfolgerin.
Und dann, sehr viel später, als sie es mir endlich erlaubte, habe ich sie besucht. Es war Frühling. Sie war in ein anderes Krankenhaus verlegt worden. Die Therapie war weniger anstrengend, und ihre Fortschritte ließen die Ärzte hoffen, die jeden Tag kamen und sie zu ihrer Bissigkeit und ihrer guten Laune beglückwünschten. Sie hatte mir am Telefon erzählt, daß sie angefangen hatte, zu allem und jedem ihren Senf dazuzugeben. Sie hatte Ideen hinsichtlich der Ausschmückung der Zimmer und hatte mit einer Patchworkdecke angefangen. Sie kritisierte die Schwachstellen, die unsägliche Organisation. Sie hatte um eine Unterredung mit dem Betriebsratsvorsitzenden gebeten, um ein paar ganz offensichtliche Punkte mit ihm zu besprechen. Ich neckte sie. Sie wehrte sich: ›Aber ich rede hier nur von gesundem Menschenverstand! Nur von gesundem Menschenverstand, verstehen Sie!‹ Sie hatte sich wieder erholt, und leichten Herzens fuhr ich in die Klinik.
Dennoch bekam ich einen Schreck, als ich sie sah. Das war nicht mehr my fair lady , sondern ein kleines gelbes Küken. Ihr Hals, ihre Wangen, ihre Hände, ihre Arme waren allesamt verschwunden. Ihre Haut hatte eine gelbliche Färbung angenommen und wirkte aufgedunsen, ihre Augen waren doppelt so groß, und was mich am meisten schockierte, war ihre Perücke. Sie hatte sie anscheinend etwas zu schnell
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