Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
Vom Netzwerk:
ausgehalten?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Vielleicht hat sie dich geliebt?«
    »Vielleicht.«
    Er trank sein Glas in einem Zug aus.
    »Vielleicht ja – vielleicht aber auch nein.«
    »Und wegen Françoise bist du nicht gegangen?«
    »Exakt. Wegen Jean-Paul Jarmet, um genau zu sein. Na ja, ich sage das, aber wäre er nicht gewesen, hätte ich bestimmt eine andere Ausrede gefunden. Menschen mit schlechten Absichten sind gut im Ausreden finden. Sehr gut.«
    »Das ist unglaublich.«
    »Was?«
    »Diese Geschichte. An was für einem seidenen Faden alles hängen kann … Das ist unglaublich.«
    »Nein, das ist nicht unglaublich, meine liebe Chloé … Nein, das ist nicht unglaublich. C’est la vie. So sieht das Leben von fast jedermann aus. Man windet sich, man arrangiert sich, man hätschelt seine kleine Feigheit wie ein geliebtes Haustier. Man streichelt es, man erzieht es, man hängt sein Herz daran. C’est la vie. Es gibt die Mutigen, und es gibt die, die sich abfinden. Es ist soviel bequemer, sich abzufinden. Reichst du mir bitte die Flasche, Chloé?«
    »Willst du dich betrinken?«
    »Nein. Es gelingt mir nicht, mich zu betrinken. Ich habe es noch nie geschafft. Je mehr ich trinke, um so klarer sehe ich.«
    »Wie schrecklich!«
    »Wie schrecklich, du sagst es. Darf ich dir nachschenken?«
    »Nein, danke.«
    »Möchtest du jetzt einen Kräutertee?«
    »Nein, nein. Ich bin – ich weiß nicht, was ich bin. Sprachlos, vielleicht.«
    »Sprachlos, weshalb?«
    »Stell dir vor, deinetwegen! Ich habe dich noch nie mehr als zwei Sätze am Stück reden hören, nie ein lautes Wort, nie eine Gefühlsregung. Seit ich dich in deiner Verkleidung als Großinquisitor kenne … Ich habe dich nie bei einer Schwäche ertappt oder bei einer Gefühlsduselei, und jetzt plötzlich schüttest du das alles ohne Vorwarnung über mir aus.«
    »Habe ich dich schockiert?«
    »Nein, nein, überhaupt nicht! Überhaupt nicht! Ganz im Gegenteil! Ganz im Gegenteil. Aber – aber wie hast du nur die ganze Zeit über diese Rolle spielen können?«
    »Welche Rolle?«
    »Na ja, die – die Rolle des alten Kotzbrocken.«
    »Aber ich bin ein alter Kotzbrocken, Chloé! Ich bin ein alter Kotzbrocken. Das versuche ich dir doch schon die ganze Zeit über zu erklären!«
    »Aber nein! Wenn du es selber merkst, dann bist du eben keiner! Die wahren Kotzbrocken merken es überhaupt nicht!«
    »Tz, glaub das nicht. Das ist nur wieder so ein Schachzug von mir, um mich noch ehrenvoller aus der Affäre zu ziehen. Darin bin ich sehr gut.«
    Er lächelte mich an.
    »Das ist unglaublich – unglaublich.«
    »Was?«
    »Na, das alles. Alles, was du mir erzählt hast.«
    »Nein, es ist nicht unglaublich. Im Gegenteil, es ist völlig banal.
    Völlig banal. Ich erzähle das heute, weil du es bist, weil ich hier bin, in diesem Zimmer, in diesem Haus, weil es Nacht ist und weil Adrien dir Kummer bereitet. Weil mich seine Entscheidung sehr traurig macht und zugleich beruhigt. Weil ich dich nicht gerne leiden sehe – ich habe selbst zuviel Leid verursacht –, und weil es mir lieber ist, dich heute einmal richtig leiden zu sehen, als dein ganzes Leben lang ein bißchen.
    Ich kenne viele Leute, die ein bißchen leiden, nur ein bißchen, ein winziges bißchen, aber doch genug, um alles zu verderben, weißt du. Ja, in meinem Alter sehe ich das oft – Leute, die noch zusammen sind, weil sie sich darauf versteift haben, auf dieses undankbare Etwas, ihr kümmerliches Dasein ohne Glanz. All diese Zugeständnisse, all diese Widersprüche. Und wozu das alles …
    Gratuliere! Wir haben alles begraben, unsere Freunde, unsere Träume und unsere Liebe, und jetzt, jetzt sind wir selbst an der Reihe! Gratuliere, Freunde!«
    Er applaudierte.
    »Rentner – vor allem Rentner. Ich hasse sie. Ich hasse sie, hörst du? Ich hasse sie, weil sie mir mein eigenes Spiegelbild zeigen. Sie sind da, suhlen sich in ihrer eigenen Zufriedenheit. Das Schiff ist noch seetüchtig, das Schiff ist noch seetüchtig! scheinen sie uns sagen zu wollen, ohne daß die Mannschaft je zusammengehalten hat. Aber um welchen Preis, mein Gott? Um welchen Preis?! Sehnsüchte, Gewissensbisse, Risse und Zugeständnisse, die nicht verheilen, die niemals verheilen werden. Niemals, hörst du! Nicht einmal bei den Hesperiden. Nicht einmal im Kreise der Urgroßenkel auf einem Foto. Auch dann nicht, wenn man gemeinsam in einer Talkshow auftritt und wie aus einem Munde antwortet.«
    Ich weiß nicht, ob er

Weitere Kostenlose Bücher