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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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aufgesetzt, so daß der Scheitel nicht ganz in der Mitte saß. Ich versuchte, ihr ein paar Neuigkeiten aus dem Büro zu erzählen, von Carolines Baby und den laufenden Aufträgen, aber ich war ganz auf diese Perücke fixiert, ich hatte Angst, sie würde verrutschen.
    In diesem Moment klopfte es an die Tür. ›Hoppla‹, sagte ein Mann, als er mich sah, und machte auf dem Absatz kehrt. Françoise rief ihn zurück. ›Pierre, das ist Simon, mein Freund. Ich glaube nicht, daß Sie ihn schon kennengelernt haben.‹ Ich stand auf. Nein, bisher nicht. Ich wußte nicht einmal, daß es ihn gab. Wir waren sehr diskret, Françoise und ich. Er drückte mir fest die Hand, und ich sah in seinen Augen alle Güte dieser Welt. Zwei kleine graue, intelligente, lebhafte und zärtliche Murmeln. Während ich mich setzte, trat er zu Françoise, um sie zu umarmen, und weißt du, was er in dem Moment tat?«
    »Nein.«
    »Er nahm ihr angeschlagenes Puppengesicht in die Hand, als wollte er sie stürmisch küssen, und nutzte die Gelegenheit, um die Perücke zurechtzurücken. Sie schimpfte mit ihm, er solle gefälligst ein wenig aufpassen, ich sei schließlich ihr Chef, und er lachte, bevor er sich zurückzog unter dem Vorwand, er wolle eine Zeitung kaufen.
    Als er die Tür hinter sich schloß, drehte sich Françoise langsam zu mir. Ihre Augen waren voller Tränen. Sie flüsterte: ›Ohne ihn wäre ich dabei draufgegangen, wissen Sie – wenn ich jetzt kämpfe, dann nur, weil ich mit ihm noch so viele Dinge erleben will. So viele Dinge.‹
    Ihr Lächeln konnte einem Furcht einflößen. Ihr Gebiß war riesig, fast unanständig. Ich hatte den Eindruck, ihre Zähne würden sich lockern. Die Haut in ihrem Gesicht würde reißen. Mir wurde übel. Und dazu noch der Geruch … Diese Mischung aus Medikamenten, Tod und Guerlain. Es war fast unerträglich, und ich mußte an mich halten, damit ich nicht die Hand vor den Mund hielt. Ich spürte, wie ich die Fassung verlor. Mein Blick trübte sich. Nur ein bißchen, weißt du, ich tat so, als würde ich mir die Augen reiben und mir die Nase zuhalten, als würde mich ein Staubkorn stören, aber als ich sie von neuem ansah und mich zwang, ihr Lächeln zu erwidern, fragte sie mich: ›Ist etwas nicht in Ordnung?‹ ›Doch, doch‹, habe ich geantwortet. Ich spürte, wie sich meine Mundwinkel nach unten zogen wie in den Gesichtern trauriger Kinder. ›Doch, doch, es geht schon. Es ist nur – ich finde nicht, daß Sie so richtig frisch aussehen, Françoise.‹ Sie schloß die Augen und ließ ihren Kopf auf das Kissen sinken. ›Machen Sie sich keine Gedanken. Ich werde es schaffen. Er braucht mich viel zu sehr, der Arme.‹
    Als ich ging, war ich am Ende meiner Kräfte. Ich hielt mich an der Wand fest. Ich brauchte unendlich lange, um mir in Erinnerung zu rufen, wo ich mein Auto geparkt hatte, und verirrte mich auf diesem verfluchten Parkplatz. Was war nur mit mir los? Mein Gott, was war nur mit mir los? War es ihr Anblick? War es der Geruch nach desinfizierter Leichengrube, oder war es ganz einfach der Ort selbst? Dieses geballte Elend. Das ganze Leid. Und meine kleine Françoise mit ihren zerschundenen Armen, mein kleiner Engel inmitten dieser Gestalten. In ihrem winzigen Bettchen verloren. Was hatten sie meiner Prinzessin angetan? Warum hatten sie sie so mißhandelt?
    Ja, ich brauchte unendlich lange, um mein Auto zu finden, und unendlich lange, um den Motor anzulassen, und dann brauchte ich noch einige Minuten, um den ersten Gang einzulegen, und weißt du warum? Weißt du, warum ich so sehr schwankte? Es war nicht ihretwegen, nicht wegen der Katheter und ihres Leids, natürlich nicht. Es war …«
    Er sah wieder auf.
    »Es war die Verzweiflung. Ja, es war der Bumerang, der zu mir zurückkam, mitten ins Gesicht.«
    Stille.
    *
    Schließlich sagte ich:
    »Pierre?«
    »Ja?«
    »Du wirst das bestimmt deplaziert finden, aber ich würde jetzt doch gerne einen Kräutertee trinken.«
    Er stand auf und grummelte etwas, um seine Dankbarkeit zu verbergen.
    »Ja, ja, ihr wißt nie, was ihr wollt, ihr seid wirklich schwierig …«
    Ich folgte ihm in die Küche und setzte mich an den Tisch, während er einen Topf mit Wasser aufsetzte. Das Licht störte mich. Ich zog die Hängelampe so weit wie möglich herunter, und er machte alle Schränke auf.

»Darf ich dir eine Frage stellen?«
    »Wenn du mir sagst, wo ich finde, was ich suche.«
    »Hier, vor dir, in der roten Dose.«
    »In dieser? Früher war das doch woanders,

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