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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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ist um so vieles einfacher.
    Meine Großtante väterlicherseits, eine Russin, sagte oft zu mir:
    ›Du bist wie mein Vater, du hast Sehnsucht nach den Bergen.‹
    ›Nach welchen Bergen, Muschka?‹ fragte ich.
    ›Nun, nach den Bergen, die du nie gesehen hast!‹«
    »Das hat sie zu dir gesagt?«
    »Ja. Das sagte sie jedesmal, wenn ich aus dem Fenster sah.«
    »Und was hast du dir angesehen?«
    »Die Busse!«
    Er lachte.
    »Noch eine Person, die dir gefallen hätte. Ich werde dir an einem unserer Freitage von ihr erzählen.«
    »Dann gehen wir zu Chez Dominique.«
    »Wir gehen, wohin du willst, das habe ich dir doch schon gesagt.«
    Er schenkte mir noch einen Tee ein.
    »Und sie, was hat sie in der Zeit gemacht?«
    »Ich weiß nicht. Sie hat gearbeitet. Sie hatte eine Stelle bei der Unesco angenommen und wenig später wieder aufgegeben. Es machte ihr keinen Spaß, dieses unterwürfige Gesülze zu übersetzen. Sie hielt es nicht aus, tagelang eingesperrt zu sein und die Moralpredigten der Politiker herunterzubeten. Sie zog die Business-World vor, in der das Adrenalin von besserer Qualität war. Sie ging auf Reisen, besuchte ihre Brüder, Schwestern und Freunde, die über den ganzen Erdball verstreut waren. Sie blieb einige Zeit in Norwegen, aber diese helläugigen Ayatollahs gefielen ihr auch nicht, und außerdem fror sie die ganze Zeit. Und als sie von der ständigen Zeitverschiebung genug hatte, blieb sie in London und übersetzte technische Beipackzettel. Sie liebte ihre Neffen.«
    »Und abgesehen von der Arbeit?«
    »Tja, das – das ist ein großes Fragezeichen. Ich habe weiß Gott versucht, ihr die Würmer aus der Nase zu ziehen, aber – sie war verschlossen, wich mir aus, entzog sich meinen Fragen. ›Laß mir wenigstens das‹, sagte sie, ›laß mir wenigstens meine Würde auf diesem Gebiet. Die Würde derjenigen aus der Back Street. Das ist doch nicht zuviel verlangt, oder?‹ Oder aber sie zahlte es mir mit gleicher Münze heim und quälte mich lachend. ›Ach, habe ich dir noch gar nicht gesagt, daß ich letzten Monat geheiratet habe? Nein, wie dumm, ich wollte dir Fotos zeigen, aber ich habe sie vergessen. Er heißt Billy, er ist nicht sonderlich helle, aber er kümmert sich rührend um mich, weißt du.‹«
    »Konntest du darüber lachen?«
    »Nein. Nicht wirklich.«
    »Hast du sie geliebt?«
    »Ja.«
    »Wie hast du sie geliebt?«
    »Ich habe sie geliebt.«
    »Und welche Erinnerung hast du an diese Jahre?«
    »Ein Leben aus lauter Punkten: Nichts. Etwas. Dann wieder nichts. Dann wieder etwas. Und dann wieder nichts … Plötzlich war es ganz schnell vorbei. Wenn ich daran zurückdenke, habe ich das Gefühl, die ganze Geschichte hätte nur einen Sommer gedauert. Nicht einmal einen Sommer, einen Atemzug. Eine Art Fata Morgana. Uns fehlte der Alltag. Darunter hat Mathilde am meisten gelitten, glaube ich. Ich hatte es schon geahnt, wohlgemerkt, aber eines Abends, nach einem langen Arbeitstag, gab sie mir den Beweis.
    Als ich von der Arbeit kam, saß sie vor einem kleinen Schreibtisch und schrieb auf dem Hotel-Briefpapier. Sie hatte mit ihrer kleinen, engen Schrift schon ein Dutzend Seiten gefüllt.
    ›Wem schreibst du da?‹ habe ich sie gefragt und mich über ihren Nacken gebeugt.
    ›Dir.‹
    ›Mir?‹
    Sie verläßt mich, fuhr es mir durch den Kopf, und ich fühlte mich gleich weniger gut.
    ›Was ist los? Du bist ganz blaß? Stimmt etwas nicht?‹
    ›Warum schreibst du mir?‹
    ›Äh, eigentlich schreibe ich dir nicht wirklich, ich schreibe auf, was ich gerne mit dir machen würde.‹
    Die Blätter lagen überall verstreut. Um sie herum, zu ihren Füßen, auf dem Bett. Ich griff wahllos ein Blatt heraus:
    … picknicken, am Flußufer Mittagsschlaf halten, Pfirsiche, Garnelen, Croissants und klebrigen Reis essen, schwimmen, tanzen, mir Schuhe, Wäsche und Parfum kaufen, Zeitung lesen, einen Schaufensterbummel machen, Metro fahren, die Uhr im Auge behalten, dich wegschubsen, wenn du dich zu sehr ausbreitest, Wäsche aufhängen, in die Oper gehen, in Bayreuth, in Wien, im Supermarkt einkaufen, grillen, schimpfen, weil du die Kohle vergessen hast, mir gleichzeitig mit dir die Zähne putzen, dir Unterhosen kaufen, den Rasen mähen, über deine Schulter hinweg die Zeitung lesen, dich davon abhalten, zu viele Erdnüsse zu essen, die Weinkeller der Loire besichtigen und die von Hunter Valley, Faxen machen, plaudern, dir Martha und Tino vorstellen, Brombeeren pflücken, kochen, noch einmal nach Vietnam

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