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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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ganze Schönheit, diese ganze Anmut. Sie wußte genau, was sie an jenem Abend tat: Sie machte sich unvergeßlich. Vielleicht irre ich mich auch, aber ich glaube nicht. Es war ihr Schwanengesang, ihr Abschied, ihr Taschentuch am Fenster. Sie war so feinfühlig, sie mußte es spüren. Sogar ihre Haut war weicher. War sie sich dessen bewußt? War es Großzügigkeit von ihrer Seite oder Grausamkeit? Beides, denke ich – beides.
    Und in der Nacht, nach den Zärtlichkeiten und dem Liebesgestöhn, sagte sie zu mir:
    ›Darf ich dir eine Frage stellen?‹
    ›Ja.‹
    ›Wirst du mir antworten?‹
    ›Ja.‹
    Ich hatte die Augen wieder geöffnet.
    ›Findest du nicht, daß wir gut zusammenpassen?‹
    Ich war enttäuscht, ich hatte so etwas wie – ja – eine lodernde Frage erwartet.
    ›Doch.‹
    ›Findest du auch?‹
    ›Ja.‹
    ›Ich finde, daß wir sehr gut zusammenpassen. Ich bin gern mit dir zusammen, weil es nie langweilig ist. Auch dann, wenn wir nicht miteinander reden, wenn wir uns nicht berühren, wenn wir nicht im gleichen Zimmer sind, langweile ich mich nicht. Langweile ich mich nie. Ich glaube, das liegt daran, daß ich dir vertraue, daß ich deinen Gedanken vertraue. Kannst du das verstehen? Alles, was ich von dir sehe, und alles, was ich nicht sehe, liebe ich. Trotzdem kenne ich deine Fehler. Aber ich habe gerade das Gefühl, daß deine Fehler gut zu meinen Vorzügen passen. Wir fürchten uns nicht vor den gleichen Dingen. Sogar unsere schlechten Eigenschaften passen gut zusammen! Du bist mehr wert, als du zeigst, und für mich gilt das Gegenteil. Ich brauche deinen Blick, um etwas mehr – etwas mehr Bodenhaftung zu haben? Wie sagt man dazu? Substanz? Wenn man sagen will, daß jemand innerlich interessant ist?‹
    ›Tiefe?‹
    ›Genau! Ich bin wie ein Drachen im Wind, wenn jemand die Schnur losläßt, pfff, fliege ich davon. Und du, das ist witzig, ich denke oft, daß du stark genug bist, um mich zu halten, und intelligent genug, um mich ziehen zu lassen.‹
    ›Warum erzählst du mir das alles?‹
    ›Ich wollte, daß du es weißt.‹
    ›Warum gerade jetzt?‹
    ›Ich weiß nicht. Ist es denn nicht unglaublich, daß man jemanden kennenlernt und denkt: Bei diesem Menschen geht es mir gut.‹
    ›Aber warum erzählst du mir das jetzt?‹
    ›Weil ich manchmal das Gefühl habe, du bist dir gar nicht darüber im klaren, was für ein Glück wir haben.‹
    ›Mathilde?‹
    ›Ja.‹
    ›Wirst du mich verlassen?‹
    ›Nein.‹
    ›Bist du nicht glücklich?‹
    ›Nicht sehr.‹
    Dann schwiegen wir.
    Am nächsten Tag sind wir auf die Berge gekraxelt, und am übernächsten Tag sind wir wieder in unser jeweiliges Leben zurückgekehrt.«
    Mein Kräutertee wurde kalt.
    »War’s das?«
    »Fast.«
    »Ein paar Wochen später kam sie nach Paris und bat mich, mir ein bißchen Zeit für sie zu nehmen. Ich war glücklich und zugleich verstimmt. Wir haben einen langen Spaziergang gemacht, fast ohne ein Wort zu wechseln, und dann habe ich sie am Rond-Point des Champs-Élysées zum Essen ausgeführt.
    Als ich es wagte, ihre Hände in meine zu nehmen, hat sie mir den Schlag versetzt:
    ›Pierre, ich bin schwanger.‹
    ›Von wem?‹ habe ich geantwortet, plötzlich blaß im Gesicht.
    Freudestrahlend stand sie auf.
    ›Von niemandem.‹
    Sie zog ihren Mantel über und schob den Stuhl zurück. Ein wunderschönes Lächeln legte sich über ihr Gesicht.
    ›Ich danke dir, du hast genau die Worte gesagt, auf die ich gewartet habe. Ja, ich habe diesen ganzen Weg zurückgelegt, um diese zwei Worte zu hören. Es war nicht ohne Risiko.‹
    Ich stotterte, ich wollte ebenfalls aufstehen, aber das Tischbein – sie bedeutete mir:
    ›Bleib sitzen.‹
    Ihre Augen glänzten.
    ›Ich habe bekommen, was ich wollte. Ich habe es nicht geschafft, dich zu verlassen. Ich kann nicht mein ganzes Leben lang auf dich warten, aber ich … Nichts. Ich mußte diese Worte hören. Ich mußte sie sehen, deine Feigheit. Sie mit dem Finger berühren, verstehst du? Nein, bleib sitzen, bleib sitzen, sage ich! Bleib sitzen! Ich muß jetzt gehen. Ich bin so müde. Wenn du wüßtest, wie müde ich bin, Pierre. Ich – ich kann nicht mehr.‹
    Ich stand auf.
    ›Du wirst mich doch gehen lassen, oder? Du wirst mich doch gehen lassen? Du mußt mich jetzt gehen lassen, du mußt mich jetzt …‹ Ihr versagte die Stimme. ›Du wirst mich doch gehen lassen, nicht wahr?‹
    ›Ja‹, sagte ich.
    ›Aber du weißt, daß ich dich liebe, das weißt du, nicht wahr?‹

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