Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
zu inspizieren, der übersät ist mit Notizen zu der Online-Kampagne. Es fasziniert mich zu sehen, wie Lex tickt: Auf den Notizzetteln sind die einzelnen Ideen durch krakelige Linien untereinander verbunden, an die Ränder sind Kommentare gekritzelt, Fragezeichen setzen nicht ausgeführten Gedankengängen ein Ende. Ich entdecke eine dicke Mappe mit Verträgen; es sind die Vereinbarungen über den Buy-out durch CPTV. Einige Seiten, auf denen von einem sogenannten Unterstützungsprogramm die Rede ist, sind mit Post-its markiert, weiter hinten folgen seitenlange Subklauseln und Nachträge. Sein Notizblock ist vollgeschrieben, und ich blättere ihn einmal kurz durch, während mein Blick schon weiterschweift. Auf einem Tisch von der Art, die in Einrichtungsmagazinen Konsoltisch genannt wird, liegt etwas, das meine Aufmerksamkeit erregt. Ich nehme die Panasonic-Videokamera aus dem Karton und drehe sie hin und her. Es ist ein teures Modell, digital, schnurlos. Daneben liegt eine Plastikhülle mit mehreren Speicherkarten. Ich befreie Kamera und Speicherkarten aus dem Verpackungsmaterial und stecke sie ein. Lex hat bestimmt nichts dagegen, wenn ich sie mir ausleihe.
Als ich den Karton wieder hinstelle, höre ich aus dem Schlafzimmer etwas, das mich erstarren lässt. Da klingelt ein Handy. Ewig klingelt es, und ich stehe da wie angewurzelt, in einer fremden Wohnung, und starre auf die Tür, die nur angelehnt ist. Als das Klingeln endlich verstummt, ist die Stille umso lauter. Er ist hier. Plötzlich erscheint es mir unmöglich, dass ich einfach so in seinen privaten Bereich eingedrungen bin. Andererseits deutet nicht das kleinste Geräusch in der Wohnung darauf hin, dass sich außer mir noch jemand hier aufhält. Ich nähere mich der Schlafzimmertür, stoße sie vorsichtig mit einem Finger an und sehe zu, wie sie lautlos nach innen aufschwingt.
Was hier so streng riecht, bist du, Lex.
Er liegt merkwürdig verdreht auf dem Bett, den Blick zur Decke gerichtet. Einer seiner Turnschuhe liegt, Sohle nach oben, auf dem Teppich. Ich bezwinge meine Angst und mache einen Schritt in den Raum hinein. Er hat eine große, blutige Wunde am Kopf; jemand muss ihm mit etwas Schwerem, Stumpfem zugesetzt haben. Seine Augen starren ins Nichts. Ein weißes Seil mit ausgefransten Enden ist doppelt um seinen Hals geschlungen. Außerdem ist der Hals übersät von dunklen Druckstellen. Er hat sich offensichtlich gewehrt.
Fast falle ich in Ohnmacht, als das Handy mit einem anderen Piepton anzeigt, dass in der Mailbox eine Nachricht eingegangen ist. Ich höre mich selbst atmen, schnell und flach, ich weiß, dass ich einer Panikattacke nahe bin. Jetzt heißt es aktiv werden. Das Handy ist nirgends zu sehen, es muss unter ihm liegen. Ich schiebe eine Hand unter seinen schweren Leib, wobei ich angestrengt auf den Kleiderschrank starre, um nicht in seine Augen sehen zu müssen, und ziehe das Teil hervor. Die Tastensperre ist aktiviert, ich werde seine Geheimnisse also nicht knacken. Schnell wische ich das Telefon ab und lasse es fallen.
Dann stehe ich unschlüssig da und weiß nicht, was als Nächstes zu tun ist. Gib mir ein Zeichen, Lex, gib mir einen Hinweis – was hat sich hier abgespielt? Ich versuche, den Tatort mit dem Blick des Kriminalisten zu betrachten. Die Wohnung ist ordentlich, das Bett ist gemacht, es stehen keine Tassen oder Aschenbecher herum, ich sehe keine halb geleerte Weinflasche, keine Linie Koks. Ich kontrolliere die Spülmaschine. Das Programm ist durch, nur ein paar Tassen und Teller und etwas Besteck; keine Weingläser. Das Abtropfbrett ist leer. Ich schaue nach, ob irgendwo eine Staubspur auf fehlende Gegenstände hindeutet, aber Rosa leistet hier ganze Arbeit. Da ist nichts.
Das war kein Höflichkeitsbesuch, nein, du hast jemanden hereingelassen, den du kanntest; jemanden, mit dem du so vertraut warst, dass er dich in deinem Schlafzimmer überraschen konnte. Ich schaue mich nach etwas Schwerem, Stumpfem um, das benutzt worden sein könnte, um Lex den Schädel einzuschlagen, nehme aber an, dass der Täter das Objekt mitgenommen hat. Hat er es vielleicht in den Kanal geworfen? Womit bist du niedergeschlagen worden, Lex? Der Hieb hat dich nicht getötet, aber wehrlos gemacht. Du wirst trotzdem alles mitbekommen haben.
Oh, Lex, verzeih, dass ich dich verdächtigt habe, verzeih meine Selbstgerechtigkeit! Unser Unfall erscheint mir nun in einem völlig anderen Licht – ich sehe den unschuldigen Mann, der voller Angst gegen
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