Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
verabredet. Wir suchen nach einer Lösung für das Problem mit dem Auftrag von Raiph. Das Bild gefällt ihm nicht.«
»Oh.«
»Er hat darauf bestanden, es zu sehen, als ich gerade erst angefangen hatte. Er wollte eine unfertige Arbeit sehen, darauf lasse ich mich normalerweise nie ein, aber Portia hat mich herumgekriegt. Und jetzt will er, dass ich es ändere – obwohl es noch gar nicht fertig ist! Die halten sich alle für die Medici persönlich; jeder soll nach ihrer Pfeife tanzen.«
»Du Arme«, zwinge ich mich, Anteil zu nehmen. »Ich werde bei Portia ein gutes Wort für dich einlegen. Eigentlich sollte das doch eine angenehme Arbeit werden.«
»Wenn man bedenkt, wie es mit meiner Karriere noch vorangehen wird, legt Raiph sein Geld hier gut an. Und trotzdem ist er nicht zufrieden.«
»Wo ist es denn?«
Sie geht hinüber zur gegenüberliegenden Wand und zieht ein Stück Stoff von einer Leinwand, die dort steht. Es ist ein typisches Jessie-Bild, kräftige Grundfarben laufen ineinander, große runde Augen sitzen in einem rosigen Gesicht. Raiphs grauer Anzug ist noch nicht mehr als ein Umriss, aber es sind schon gewaltige, überdimensionierte Schultern zu erkennen. Es ist Kunst, die einen fordert, weit entfernt von den gefälligen Aquarellen, die in Restaurantketten die Wände zieren. »Warum reagiert er so heftig? Er hat doch vorher Arbeiten von dir gesehen.«
»Ihm hat nicht gefallen, was ich geschrieben hatte.«
Jessies »Signatur« ist in der Regel ein Wort oder ein Satz; Text, den sie in eine grellfarbige Fläche neben den Kopf des Porträtierten stellt. Neben Raiphs Gesicht tanzen in Smaragdgrün die Worte: »Green green grass«.
Jessies Handy klingelt. »Ich komme runter«, sagt sie, dreht sich zu mir um und sieht, wie ich erschrecke. »Das ist Portia …«
»Ich will niemandem begegnen …«
»Bist du sicher? Willst du sie nicht nach dem Alibi fragen, das sie Paul gegeben hat?«
Sie schaut mich so lange an, bis ich schließlich nicke. »Und kein Wort über Lex«, sage ich. »Ich glaube nicht, dass das schon allgemein bekannt ist.«
»Ich bringe sie mit hoch.« Sie nimmt ihre Schlüssel und verschwindet, kurz darauf stehen beide in der Tür.
Als sie mich sieht, stößt Portia einen kleinen Schrei aus, kommt auf mich zu und umarmt und küsst mich, als wollte sie demonstrieren, wie gleichgültig ihr die vorherrschende öffentliche Meinung ist. »Mein Gott, was müssen Sie und Ihre arme Familie nur durchmachen!« Ich sage gar nichts, und sie fährt fort: »Ich weiß, das ist nicht einfach, aber Sie dürfen das ganze Zeug nicht lesen. Vergessen Sie nicht: Das ist reine Unterhaltung auf Ihre Kosten. In der Hinsicht war Paul bisher ziemlich schwer von Begriff. Ich finde, Sie brauchen einen PR-Menschen, jemanden, der Sie und Ihre Familie vertreten und für Sie sprechen kann. In solchen Zeiten muss man einen Profi an seiner Seite haben.«
Sie setzt sich in die Schulbank, öffnet ihre Tasche und holt ihr Telefon hervor. »Sie werden von den Medien in die Öffentlichkeit gezerrt und mal hierhin, mal dahin geschubst, wie es für die Story gerade passt. Da wird es Zeit, die Kontrolle zu übernehmen. Ich kenne eine ausgezeichnete PR-Agentur, der Chef ist ein alter Freund von mir, den sollten Sie auf jeden Fall anrufen. Und bitte berufen Sie sich auf mich.« Sie holt ein ledergebundenes Notizbuch aus der Tasche, reißt eine Seite heraus und schreibt eine Telefonnummer darauf. »Ist das hier Ihre?« Sie schiebt den Zettel halb unter meine Tasche. »Und schicken Sie die Rechnung unbedingt an mich!«
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragt Jessie, und Portia lässt sich ein Glas Wasser geben. Ihre damenhaften Schuhe und der teure Hosenanzug wirken in diesem Rattenloch von Arbeitsraum vollkommen deplaziert, ihr Cabrio vor der Haustür kann jeden Moment geklaut werden, aber das scheint sie alles nicht zu stören.
»Wenn ich sonst noch etwas tun kann, rufen Sie mich bitte an! Das meine ich sehr ernst.«
»Warum haben Sie Paul ein Alibi gegeben?«
Sie zuckt nicht zusammen, sie wendet sich mir ganz einfach zu. Unbequeme Fragen ist sie gewöhnt.
»Ich habe ihm ein Alibi gegeben, weil ich mich mit ihm getroffen habe. Ich vermute, Sie wollen möglichst genau wissen, was an dem Abend, an dem Melody umgebracht wurde, mit Paul los war?«
»Ja.«
»Das ist verständlich.«
»Warum haben Sie sich mit ihm getroffen?«
Portia trinkt einen Schluck Wasser, sieht sich nach einer Abstellmöglichkeit für ihr Glas um
Weitere Kostenlose Bücher