Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
und entscheidet sich schließlich für den Fußboden. Sie zögert, sucht noch nach den richtigen Worten. »Also gut. Ich habe mich oft gefragt, was ich sagen soll, wenn Sie das wissen wollen, aber bei genauerem Nachdenken komme ich zu dem Schluss, dass man mit der Wahrheit immer am besten fährt. Dann kann man später nicht bei einem Widerspruch ertappt werden.« Furcht klettert mein Rückgrat hinauf. »Was die Zeiten angeht, habe ich mich bemüht, alles so genau wie möglich anzugeben, aber ich bin natürlich nicht hundertprozentig sicher, wann wir uns nun getroffen haben.«
»Ungefähr?«
»Halb elf, vielleicht auch Viertel vor.«
Jessie sieht mich erstaunt an. Sie kann sich normalerweise schon kaum erinnern, an welchem Tag was stattgefunden hat; von Stunden und Minuten ganz zu schweigen.
»Wir haben in meinem Auto gesessen, auch weil es so heftig geregnet hat. Es hat nicht lange gedauert.« Sie steht auf und stellt sich hinter die Schulbank.
»Und warum …?«
»Ich führe ein Unternehmen mit ungefähr zwei Milliarden Pfund Jahresumsatz. Ich bin Kapitän eines Schiffs, das viele gern lenken würden – wenn Sie mir dieses Bild gestatten. Seit wir den ersten Teil der Forwood-Übernahme abgewickelt haben, ist Paul Anteilseigner bei CPTV, und Anteilseigner haben eine gewichtige Stimme bei Entscheidungen über die künftige Ausrichtung des Unternehmens oder darüber, wer besagtes Unternehmen führen soll. Wenn Sie so wollen, habe ich Paul gegenüber ein bisschen Wahlkampf betrieben.«
»Warum haben Sie das nicht von Anfang an gesagt? Warum hat Paul es verheimlicht?«
»Ich fürchte, das müssen Sie ihn selbst fragen. Ich will ihm nicht vorgreifen, aber vielleicht fand er, es klingt ein bisschen … anrüchig, wenn er erzählt, dass wir uns spätabends in einem Auto getroffen haben. Als die Polizei mich jetzt aber gezielt gefragt hat, konnte ich seine Angaben bestätigen. Im Übrigen vermute ich, dass Lex von unserem Treffen nichts gewusst hat.«
»Warum?«
»Bei Forwood sind Lex und Paul gleichberechtigte Partner, aber für den Fall, dass sich das ändern sollte …«
»Ändert es sich denn?«
»Das sind nur Vermutungen. Ich wollte Paul auf meiner Seite haben. Ich glaube an ihn, er ist noch im Kommen. Mein Gefühl sagt mir, dass wir auch in Zukunft sehr gut zusammenarbeiten werden, und das wollte ich ihn wissen lassen. Um ganz direkt zu sein: Ich habe lieber ihn mit im Boot als Lex.« Ihr Blick wandert zwischen Jessie und mir hin und her. »Es kommt immer wieder vor, dass Firmengründer die Kontrolle über ihr Unternehmen verlieren. Machtkonstellationen und Bündnisse ändern sich manchmal erstaunlich schnell. So läuft es nun mal in der Business-Welt. Und wenn ich das nicht im Blick hätte, wäre ich nicht da, wo ich heute bin.«
»Ist das illegal?«, fragt Jessie.
Portia lacht. »Was für ein Unsinn.« Sie geht hinüber zu dem Porträt von Raiph. »Ich bin im Lauf der Jahre zu der Erkenntnis gelangt, dass diejenigen, die am wenigsten Ahnung haben von der Wirtschaftswelt, sie in den schwärzesten Farben malen, ob das nun Journalisten sind, Hollywood-Drehbuchschreiber – oder Künstler.« Sie lächelt ihr gewinnendes Lächeln. »In der Realität besteht diese Welt einfach nur aus Unmengen fleißiger, völlig gesetzeskonformer Arbeit.« Jetzt vertieft sie sich in den Anblick des Bildes, schaut es lange an und lacht schließlich. »Das hat also für diesen Aufruhr gesorgt.« Nach einer kurzen Pause fährt sie fort: »Mir gefällt es, Jessie, wirklich. Aber wenn wir weiterkommen wollen, müssen Sie schlau sein, und das heißt kompromissbereit. Das gilt letztlich für jedes Geschäft, im Wirtschaftsleben wie in der Kunst.« Sie hat eine sehr angenehme Stimme, weich und melodiös, aber es liegt auch Autorität darin. Man hört ihr einfach gern zu. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie auch einen ganzen Raum voll Männer in ihren Bann zieht. »Hin und wieder müssen sogar Künstler in Bezug auf ihre Vision oder ihre Ideale Kompromisse eingehen.«
»Das werde ich nicht tun«, knurrt Jessie. »Verkauf deine Vision, und du bist als Künstler gestorben.«
»War Paul betrunken, als Sie sich an dem Abend getroffen haben?«
Leicht irritiert, dass ich immer noch an dem anderen Thema festhänge, dreht Portia sich zu mir um. »Nein, es hatte nicht den Anschein.« Dann wendet sie sich wieder Jessie zu und fährt in einem Ton fort, als wolle sie etwas verkaufen. »Wir arbeiten alle hart. Sie, Jessie, rackern sich
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