Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
unwiderleglich fest. Es muss ihm ein Fest gewesen sein, Melody dieses giftige kleine Geschenk zu überreichen.
Rasende Wut packt mich, wenn ich mir vor Augen halte, in welche Selbstzufriedenheit ich mich habe fallenlassen, wie viele berufliche Chancen ich ungenutzt gelassen habe, in welchem Ausmaß ich Pauls Bedürfnisse über meine gestellt habe, wie bequem ich geworden bin. Ich schlage mich an die Stirn, stopfe die CD wieder in meine Tasche und hole Lex’ Kamera hervor. »Wir leben in einer Medienwelt, Kate«, flüstere ich. »Du musst lächeln, Kamera läuft …« Ich überfliege die Bedienungsanleitung – mit dem Gefühl, trotz meiner Erschöpfung bei so wachem Verstand zu sein wie schon seit Jahren nicht mehr. Jedes einzelne Wort prägt sich mir ein. Ich positioniere das Gerät auf einem Küchenbord, um den richtigen Winkel zu erwischen, stelle den Nacht-Modus ein und drücke Start. Es ist an der Zeit, den Spieß umzudrehen …
Am Anfang bin ich nervös. Meine Stimme ist brüchig, ich spreche zu langsam. Dann komme ich ins Stottern und fange noch einmal neu an, etwas entschlossener jetzt.
»Mein Name ist Kate Forman. Ich bin auf der Flucht vor der Polizei. Ich werde wegen der Morde an Melody Graham und Lex Wood gesucht. Dies ist vielleicht meine letzte Chance, die Dinge richtigzustellen; zu beweisen, dass ich unschuldig bin.«
Je länger ich spreche, desto mehr Zutrauen fasse ich. Ich fange mit Paul an, damit, wie ich ihn in der Küche gefunden habe; erzähle von dem Schal mit den Spuren von Melodys Blut, der sich bei mir zu Hause gefunden hat, und davon, wie ich Lex’ Leichnam entdeckt habe. Ich bin mitten im Redefluss, als mir plötzlich das Wort im Halse stecken bleibt. Mit einem dumpfen Geräusch wird die hintere Tür des Bootes geöffnet, und dann kommt jemand schweren Schritts den Niedergang herunter.
40
I ch habe gerade noch Zeit, mich unter dem kleinen Tisch zu verstecken, wobei ich mich im Stillen verfluche für meine Naivität. Wie konnte ich annehmen, dass die Polizei hier nicht herkommen würde? Im Heck wird Licht gemacht. Lange Schatten fallen in den Raum, und ich höre, wie Schubladen aufgezogen werden und eine Tasche zu Boden fällt. Das klingt nicht nach Polizei. Ich beuge mich ein wenig vor und spähe vorsichtig um die Ecke in den Durchgang. Besonders viel sehe ich nicht, aber immerhin so viel, dass die Tür des Schranks unterhalb der Leiter offen steht und ein ausgestreckter Männerarm dabei ist, etwas herauszuziehen. Es ist ein alter grüner Aktenschrank aus Metall, noch aus der Zeit, als hier das Forwood-Büro war. Jemand wühlt darin herum, und kalter Hass packt mich. Ich nehme an, das bist du, Paul, du hast irgendwas vor. Es ist mitten in der Nacht, absolut nicht die Zeit, um sich mit Buchhaltungsunterlagen oder alten Personalakten zu beschäftigen.
Jetzt zieht der Arm einen Hefter aus dem Schrank; er ist hellblau, wirkt in dem Neonlicht aber grünlich. Quietschend wird die Schublade geschlossen. Der Arm verschwindet aus meinem Blickfeld, die Schranktür fällt mit leisem Klappern zu. Als eine große Gestalt mit schweren Schritten näher kommt, ziehe ich schnell den Kopf ein und krieche in den Zwischenraum zwischen Tisch und Bank. Das ist nicht mein untreuer Ehemann. Es ist John.
Er ist nicht ansatzweise so erstaunt wie ich. »Hier steckst du also. Ist alles in Ordnung?«
»Nein. Was suchst du hier?« Er macht eine vage Handbewegung, beantwortet die Frage nicht. »Ist die Polizei im Haus?«
»Natürlich.«
»Wenn man bedenkt, was der Bluttest an dem Schal ergeben hat, müssen sie Paul sehr überzeugend gefunden haben. Jedenfalls ist er im Haus bei den Kindern, und ich muss mich hier verstecken«, stichele ich.
John schweigt einen Moment. Dann sagt er: »Er macht sich Sorgen um dich. Die Kinder haben geweint und nach dir verlangt.« Das zerreißt mir das Herz. Schnell fügt John hinzu: »Aber jetzt schlafen sie.«
Er legt ein paar Akten auf den Tisch. »Ich habe nicht viel Zeit.« Damit setzt er sich mir gegenüber – noch innerhalb der Reichweite der Kamera, die nach wie vor läuft. »Du hast ganz schön Staub aufgewirbelt …«
»Ich habe die beiden nicht umgebracht«, fauche ich.
Unter seinen buschigen Brauen hervor sieht John mich an. »Warum bist du bei Lex eingestiegen?«
Das hat sich ja schnell herumgesprochen. Am Ende war mein 999-Anruf gar nicht so anonym.
Er glaubt mir nicht, also rede ich weiter in dem Bestreben, ihn zu überzeugen. »Ich dachte, dort
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