Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
würde ich vielleicht etwas finden, das mir hilft. Was ich stattdessen gefunden habe, war seine Leiche …«, John senkt den Blick, »… und nicht die Spur eines Hinweises. Den habe ich später gekriegt. Mir war nicht klar, dass Lex mir die Antwort längst gegeben hatte. Allerdings haben wir es da beide noch nicht gewusst – ich weiß es erst jetzt.« Inzwischen sieht John mich wieder an, so eindringlich, dass ich unwillkürlich »Was?« frage wie ein trotziger Teenager.
»Lex hat dir die Antwort gegeben.« Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung. John runzelt die Stirn. »Jona und der Wal …« Er verstummt und beginnt in den Akten zu blättern. Die Nacht ist seine Zeit. Er scheint ganz in seinem Element zu sein, als er sich so über die Papiere beugt; es ist, als wäre er nach Einbruch der Dunkelheit weniger blass, als koste ihn der ständige Kampf darum, abstinent zu bleiben, nachts weniger Anstrengung. Andererseits war es schon immer so, dass er abends erst richtig aufblühte, vor Leben sprühte, extrem und extravagant sein konnte, immer der Letzte war, der nach Hause ging. Und als die Sucht ihn richtig im Griff hatte, ging er praktisch gar nicht mehr nach Hause; sein Leben war eine Aneinanderreihung schrecklicher Abstürze und Katerzustände in immer schnellerer Abfolge. Jetzt blitzen seine Augen, seine Schultern zucken hin und wieder vor nervöser Energie. Aus dieser Perspektive – er sitzt mir gegenüber und hält den Kopf gesenkt – hat er viel Ähnlichkeit mit Paul. Sie haben die gleichen Hände. Mit einiger Anstrengung gelingt es mir, die Vorstellung, wo überall Pauls Hände waren, zu verscheuchen.
»Jona und der Wal. Was sagt dir diese Geschichte, Kate?«
»Haben wir für so etwas Zeit?«, erwidere ich unwillig und recke den Hals, um erkennen zu können, was er da liest. Die ganze Zeit über bin ich mir der Tatsache bewusst, dass drüben, jenseits des Gartens, Leute lauern, die mich von jeglicher weiterer Suche abhalten können.
»Ist dein Telefon aus?«
»Natürlich.«
»Der Kleine wird vom Großen gefressen …« Er hört nicht auf zu blättern. »Forwood wird von CPTV geschluckt, und niemand findet etwas dabei …«
»Kannst du mir mal sagen, wovon du redest?«
John knallt den Hefter so energisch auf den Tisch, dass der wackelt. Er starrt mich herausfordernd an. »Nur wenn du mir sagst, was du weißt.«
Ich sehe ihm in die Augen und weiß, ein gewisses Risiko muss ich eingehen. »Lex und ich waren uns nicht immer einig, aber wir wollten beide die Wahrheit wissen. Er hatte mir einen speziellen Namen verpasst – ein kleiner Scherz auf meine Kosten. Und ich glaube, er hat diesen Namen seinem Mörder – Raiph – gegenüber erwähnt.«
»Jona wird den Wal schlucken.« John hebt die Arme, verschränkt die Hände, legt sie auf seinen Kopf und atmet befriedigt aus. »Lex hat es gewusst!« Jetzt beugt er sich vor und spreizt die Knie weit auseinander, weil er sie nicht unter den kleinen Tisch kriegt. »Als CPTV vor zwei Jahren anfing, Forwood zu übernehmen, hat Lex immer gesagt, wir wären Jona, der vom Walfisch geschluckt wird. Letzte Woche hatte ich eine SMS von ihm, in der stand: ›Jona wird den Wal schlucken.‹ Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Aber wie sollen wir den Wal schlucken? Wir sind klein, sie sind groß. Und dann kriege ich heute Morgen einen Brief von den CPTV-Anwälten, in dem es um die Abschlusszahlung geht. Sie versuchen, den Termin nach hinten zu schieben, wollen erst später zahlen. Warum?, frage ich mich. Ein Grund könnte sein, dass sie nicht zahlen können . Und wenn sie nicht zahlen können, müssen sie pleite sein; eine der europaweit größten Fernsehgesellschaften – bankrott.«
Ich schüttele verwirrt den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Du sagst doch selbst, sie sind riesig.«
»Ja, aber das heißt noch nicht, dass sie größere Summen flüssig haben. Wir stecken mitten in der Rezession, die Banken geben keine Kredite. Da haben selbst große Unternehmen Schwierigkeiten, an Mittel heranzukommen, besonders altmodische Fernsehfirmen wie CPTV. Und noch etwas: Forwood ist vor zwei Jahren bewertet worden; damals boomten Zuschauerabstimmungen per Telefon und SMS, und auf dieser Welle sind wir sehr gut mitgeritten. Aber seitdem hat es im Zusammenhang mit Telefon-Votings den einen oder anderen Skandal gegeben, und Produktionsfirmen wie Sender verdienen längst nicht mehr so gut daran. Heute lassen sich damit bei weitem nicht mehr so große
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