Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
gut, mein Lieber? Genieß es. Es könnte das letzte Mal sein.
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D urch verlassene Straßen radele ich in den Süden von London, zu einem kleinen Reihenhaus mit kaputter Außenbeleuchtung. Ich schiebe die Speicherkarte durch Livvys Briefschlitz und kritzele ein paar Worte auf einen Zettel, den ich in meiner Tasche gefunden habe. »Setz das ein, wie du es für richtig hältst. Kate.« Es fühlt sich an wie ein kleiner Aufstand gegen die Armee, die gegen mich aufmarschiert.
Bevor jemand auf die Idee kommt, sehr früh aufzuwachen, fahre ich schnell weiter. Inzwischen ist die Müdigkeit übermächtig, und ich finde in einer leerstehenden Garage ein paar Stunden Schlaf – bis der beunruhigende Traum von einem weinroten Schuh, der sich um Pauls Bein windet, mich hochfahren lässt. Bei Anbruch der Morgendämmerung öffne ich den Laptop und sehe mir die Headlines der Tagespresse an. Schwer zu sagen, ob Lex’ Gesicht häufiger auftaucht oder meins. Es ist, als wären wir Konkurrenten in einem schrägen Schönheitswettbewerb. Von mir verwenden sie das Fahndungsfoto der Polizei, auf dem die Schramme an meiner Schläfe noch deutlich zu sehen ist. Ich komme rüber wie eine eifersüchtige, gewalttätige Irre.
»Trittbrettfahrer schlägt wieder zu«. Ich klicke den Link an, um den ganzen Text zu lesen.
Gestern Abend wurde Lex Wood, Topmanager in der TV-Branche, in seiner luxuriösen Londoner Wohnung tot aufgefunden. Die Polizei geht davon aus, dass es sich um die zweite Tat eines Trittbrettfahrers handelt.
Ich scrolle ein Stück weiter.
Es wird vermutet, dass Kate Forman, Ehefrau von Woods Geschäftspartner Paul Forman, diejenige war, die anonym unter 999 angerufen und auf den Mord an Wood hingewiesen hat. Deshalb wollen die Ermittler sie unbedingt noch einmal vernehmen. Erst gestern wurde Forman aus dem Polizeigewahrsam entlassen, nachdem sie zuvor zum Mord an Melody Graham befragt worden war. Die beiden Morde weisen auffallende Ähnlichkeit auf. Graham, 26, hatte Recherchearbeiten für Inside-Out geliefert, eine umstrittene Serie über den Mörder Gerry Bonacorsi, der eine lebenslängliche Haftstrafe abgesessen hat und erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurde.
Nachdem bekannt geworden ist, dass Wood und Forman am vergangenen Mittwoch in Nordwestlondon in einen Verkehrsunfall verwickelt waren, bei dem Wood am Steuer saß, erweist sich die Entscheidung von Detective Inspector Anne-Marie O’Shea, Kate Forman freizulassen, als äußerst fragwürdig. Mehrere Zeugen erinnern sich, dass Forman Wood geschlagen hat und, obwohl sie verletzt war, weggelaufen ist, ohne medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Sprecher der Polizei rief die Bürger auf, sich Forman, die gestern Abend nicht nach Hause gekommen ist und zuletzt in einem Künstleratelier in Hackney, Ostlondon, gesehen wurde, nicht zu nähern.
Paul Forman sagte gestern Abend: »Ich bin in größter Sorge um meine Frau und bitte sie dringend, sich mit mir in Verbindung zu setzen …«
»Der King des Crime-TV: Nachruf auf Lex Wood«
»Wenn das Leben die Kunst nachahmt: Nach dem jüngsten Fauxpas in einer wichtigen Mordermittlung steht die Metropolitan Police zu Recht in der Kritik …«
»Forwood-Perspektiven: Die kleine Firma, die sich in der modernen Fernsehwelt überhoben hat …«
»Gefangen in der Vergangenheit: Gerry Bonacorsis Leben im Fokus der Medien …«
Ich mache den Computer aus, weil ich Sorge habe, der Akku könnte bald leer sein, aber auch, weil ich es einfach nicht mehr sehen kann.
Gegen neun lässt sich der Hunger nicht länger verdrängen. Ich muss mir etwas zu essen besorgen. Ich radele wieder in Richtung Fluss und entdecke auf einem Industriegelände einen kleinen Imbisswagen. Ich riskiere es, mir zwei Brötchen mit gebratenem Bacon und einen riesigen Becher Tee zu kaufen. Das magere junge Mädchen, das mich bedient, sieht mich noch nicht einmal richtig an. Für später stecke ich noch zwei Twix-Riegel und eine Dose Fanta ein. Ein kleiner Zuckerschub wird mir nicht schaden. Meine jahrelangen Bemühungen, mich an die Mittelklasse anzupassen, die angestrengten Versuche, etwas zu sein, das ich nicht bin, sind vergessen. Im menschenleeren Battersea Park halte ich an und hocke mich auf eine einzeln stehende Bank, über die kahle Bäume ihre Äste recken. Es ist kalt. Ich beiße in das zweite Brötchen, und als ich das Bratfett rieche, sehe ich plötzlich meine Mutter vor mir, wie sie Lynda und mich für den Weg zur Schule stärkt;
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