Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
und ich radele langsam weiter. Raiph ist noch dort drin, aber mir ist der Zugang verwehrt.
Ich fahre in östlicher Richtung, immer durch Seitenstraßen, und entdecke eine Kirche in einem kleinen Park. Ich brauche Hilfe, aber woher soll sie kommen? Verzweiflung macht sich in mir breit. Ich füge die Bestandteile meines Handys zusammen und rufe Eloide an. Als ich ihre atemlose Mailbox-Ansage höre, lege ich auf. Ich krieche halb unter einen Baum, lasse mich nieder, hole den Computer hervor, suche die Telefonnummer ihres Büros in der Regent Street heraus und wähle. Die Empfangsdame säuselt etwas von Meeting. Nein, eine Nachricht möchte ich nicht hinterlassen. Zehn Minuten später versuche ich es noch einmal – sie ist immer noch beschäftigt. Meine Enttäuschung wächst. Dies könnte für lange Zeit mein letzter Tag in Freiheit sein. Ich mache einen Blumenladen in der Nähe ihres Büros ausfindig und lasse ihr einen Strauß schicken; mit einem stattlichen, elektronisch angewiesenen Trinkgeld erreiche ich, dass die Lieferung sofort ausgeführt wird. Eine junge Frau liest mir in schlechtem Englisch meine Botschaft noch einmal vor: »Ich brauche deine Hilfe. Holy Trinity Brompton, KF.«
Dann ziehe ich die schwere Kirchentür auf und setze mich an der Wand gegenüber vom Eingang hinter eine Säule. Wie ich gehofft hatte, bin ich allein. Ich schreibe »Kate Forman Video« ins Google-Suche-Fenster und kriege siebzehntausend Treffer. Was vor gerade mal zwei Stunden nichts anderes war als ein einzelner Beitrag auf einer Website, hat sich zu einer Internet-Sensation ausgewachsen. Die gängigen Medien mischen kräftig mit, und wir erleben unsere Viertelstunde Ruhm.
»Raiph Spencer angewidert von den Anschuldigungen«.
» Crime Time verteidigt Video«; hier wird Livvy ausführlich zitiert, sie zeigt sich angriffslustig und energisch.
»Was unsere Mitarbeiterin Kate Forman in dem Video behauptet, ist schlicht zu wichtig, um ignoriert zu werden. Genau diese Art von ehrlichem, persönlichem Videomaterial wollen wir bei Crime Time präsentieren. Wir sagen: Wenn die Behauptungen falsch sind, verklagt Kate! Und noch etwas. Die Polizei kann jammern, so viel sie will, und sagen, das Video sei relevantes Beweismaterial in einer Mordermittlung, aber eine unserer Angestellten hat es produziert, für uns . Also lasst die Finger davon, solange ihr keinen Gerichtsbeschluss habt, der euch gestattet, es zu beschlagnahmen.«
»Verleumdungsklage fällig? Die Anschuldigungen, die in einem selbstgedrehten und im Internet publizierten Video erhoben werden, rufen die Spezialisten für Verleumdungsklagen unter Englands Spitzenanwälten auf den Plan …«
»CPTV-Aktie im Sturzflug. Panik greift um sich«.
»CPTV: Raiph Spencers persönliche Tragödie«.
»Serien-Mama hält die Metropolitan Police zum Narren«.
Das alles ist viel aufgeblasener, schmutziger und verwickelter, als ich es mir je hätte vorstellen können. Ich habe den Stein vielleicht ins Rollen gebracht, aber jetzt kann weder ich noch sonst irgendjemand ihn noch stoppen. Wenn Raiph nicht jetzt schon zur Vernehmung bei der Polizei ist, wird es mit Sicherheit über kurz oder lang dazu kommen. John muss sich auf eine Anzeige gefasst machen, weil er Samuels nicht darauf hingewiesen hat, dass ich nur eine Bodenplanke weit von ihm entfernt bin. Eine halbe Stunde verstreicht; das Zeitfenster, das ich gehabt hätte, um Raiph zur Rede zu stellen, beginnt sich zu schließen. Ein paar Mal geht die Kirchentür auf und zu; Leute kommen und gehen, aber die, auf die ich warte, ist nicht unter ihnen. Dann endlich klappern Absätze über den Steinboden. Sie ist da. Ich spähe hinter der Säule hervor. Sie ist allein.
»Hallo?«, ruft Eloide zögernd und geht unsicher durchs Kirchenschiff. Noch hat sie Mühe, ihre Augen nach dem Sonnenlicht draußen an das Halbdunkel zu gewöhnen. »Hallo?« Jetzt ruft sie schon lauter. Da niemand anders auftaucht, bewege ich mich zwischen den Bänken hindurch zum Mittelgang. Sie entdeckt mich und kommt mir entgegen, und kurz danach sitzen wir nebeneinander in der leeren Kirche und starren auf den Altar. »Du bist das Gesprächsthema Nummer eins«, flüstert sie – mit Rücksicht auf den Ort, an dem wir uns befinden.
»Was mir keinen besonderen Spaß macht«, flüstere ich zurück.
Sie streicht den Rock über ihren knochigen Knien glatt. »Dieses Video ist echt ein Ding. War ziemlich mutig von dir, dich bei mir zu melden. Warum warst du dir so sicher,
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