Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)

Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)

Titel: Ich habe sie getötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ali Knight
Vom Netzwerk:
mit dem Pulloverärmel weg. Damit sie die Stilettos nicht verliert, kommt sie in die Küche geschlurft. Sie trägt Feenflügel über ihrem Schneewittchenkostüm und hat eine blinkende Krone auf. Manchmal packt mich die Liebe zu meiner Tochter wie aus dem Nichts.
    »Ach, Ava, du siehst einfach toll aus!«
    »Ich krieg es nicht zu.« Das Kleid schleift hinter ihr über den Boden, die Klettverschlüsse flattern lose umher. Ich strecke den Arm aus und ziehe sie an mich, süchtig nach ihrer Jugend und Unschuld, so als könnte dieser Zauber wenigstens ein bisschen auf mich abfärben. »Das ist mein Gürtel. Machst du ihn mir zu?«
    Ihre makellose Hand mit den Grübchen streckt mir ein Ende von Pauls Schal entgegen, so, dass zwischen den kleinen Fingern ein großer, verkrusteter Blutfleck zu sehen ist.
    »Wo hast du das gefunden?« Meine Stimme kommt von weit her.
    »In meiner Verkleidekiste.«
    »Weißt du was? Ich geb dir meinen.« Ava reißt begeistert die Augen auf, als ich meinen Gürtel aus den Jeansschlaufen ziehe. »Ausnahmsweise.« Ich zupfe an Pauls Schal, sehe, wie er durch ihre Hand gleitet, direkt in meine Krallen. Sie lässt los, nimmt meinen Gürtel und hüpft hinüber ins Wohnzimmer.
    Pauls Schal ist aus Kaschmir mit einem kleinen Anteil von irgendwas Trendigem, Überflüssigem – Kaninchenwolle, Alpaka, Pashmina; irgendwann habe ich es sicher gewusst. Er fühlt sich dick und wollig an. Er hat einen geschmackvollen Streifen und ist nicht besonders lang. Ich habe ihn Paul letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Was schenkt man einem Mann, der alles hat? Jedes Jahr die gleichen Sachen, weil er sie immer wieder verliert. Sogar das Geschenkebesorgen macht Paul einem leicht. Ein schöner schwuler Mann hat mir den Schal in Seidenpapier gewickelt und, als er mir die steife Papiertüte mit den dicken Kordelhenkeln über den Tresen reichte, gesagt: »Auf dass er ihn warm hält.« Ich weiß, wie du den Schal bindest, Paul, dicht um den Hals gelegt, die Enden ein Stück über die Brust hängend. An einem dieser Enden blüht jetzt der rostrote Fleck wie eine giftige Rose; hart und spröde fühlt er sich an. Das bedeutet, dass das – oder die oder der –, was da geblutet hat, an deiner Brust gelehnt haben muss. Du hast mir aber gesagt, du hättest diesen Hund gezogen, das hast du gesagt, Paul, du hättest ihn von der Straße weggezogen. Panik steigt in mir hoch.
    Das war es, wonach er die ganzen letzten Tage gesucht hat, und wir haben beide nicht mit unserer kleinen Tochter gerechnet, die den Schal wie einen Schatz in ihrer Verkleidekiste verstaut hat. Da muss viel Blut geflossen sein. Mit Blut kenne ich mich aus, Paul, wie alle Frauen. Mit dreizehn habe ich meine Periode bekommen. Seit fast fünfundzwanzig Jahren blute ich regelmäßig, ich habe zwei Kinder geboren. Blut auf Baumwolle, Spitze, Viskose, Seide, Watte und Zellstoff, ich weiß, wie Blut aussieht, wie es auf meinen Laken zerläuft und wie auf fremden, wie es Slips durchweicht, Schlafanzughosen, Nachthemden, selbst die robustesten Jeans, wie es sogar bis auf das karierte Sitzpolster in einem Londoner Bus durchdringt. Daher weiß ich, dass dieser Schalzipfel viel Blut aufgenommen hat und dass es schnell gegangen ist. Hatte die Person die Arme um deinen Hals gelegt? War ihr Gesicht, waren ihre Lippen dir nahe? Was hat sie gesagt? Hat sie gefleht, gebettelt, geschrien? Starb sie?
    Ich breite den Schal auf dem Küchentisch aus, als wollte ich ihn einer Autopsie unterziehen. Ich beuge mich über den Blutfleck und rieche daran. Seltsam, dass der Stoff, der da durch unseren einzigartigen und sofort identifizierbaren Körper fließt, keinerlei Eigenart aufweist, wenn er vergossen wird – jedenfalls für das menschliche Auge. In einem Labor sieht das anders aus, unter einem Mikroskop, wo Blutgruppen festgestellt werden können, in einem kriminaltechnischen Labor etwa. Der Schal riecht schwach nach Bier und geschlossenen Räumen. Ich lege die Wange auf den Tisch und schaue an der Kante des Gewebes entlang, sehe, wie sich das Licht in den Fasern fängt. Wir stoßen unser Fell im Frühling ab, habe ich gelesen, wie die Tiere. Haare und Hautschuppen fallen von uns ab, in Abflüsse, auf den Boden vor dem Schlafzimmerspiegel, auf Kleider, wo sie kleben bleiben wie auf Pauls schickem, wolligem Schal. Ich ziehe ein blondes Haar von dem Stoff. Es könnte von Ava sein. Könnte.
    Ich sitze da und bewache den Schal, als könnte er jeden Moment aufstehen und weggehen. Die

Weitere Kostenlose Bücher