Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
allermeisten fürchte, ist der Tod eines meiner Kinder. Ich bin mir darüber im Klaren, dass das ein armseliges Klischee ist, das Einfallsloseste, was eine Mutter von sich geben kann, aber deswegen ist es nicht weniger wahr. Das Gewicht eines nassen Körpers, den ich aus dem Swimmingpool einer Villa ziehe; der rauhe Bezug des Lehnstuhls, in den ich sinke, während eine Polizistin mir mitteilt, dass eins von ihnen nicht mehr lebt, und ihre psychologisch geschulte Kollegin schon bereitsteht. Wenn ich mir das ausmale, kommen mir die Tränen, meine Nase schwillt zu, und Panik erfasst mich – und dann zwinge ich mich, die unerträglichen Bilder durch einen glücklichen Gedanken zu verscheuchen. Das dauert vielleicht eine halbe Minute, dann fasse ich wieder Tritt. Aber wie geht es für Melodys Eltern weiter? Eine Minute, zwei Minuten, fünf, zehn, eine Stunde, ein Tag, eine Woche, ein Leben lang? Zu ihnen ist die Polizei tatsächlich gekommen und hat ihnen das Entsetzliche aufgebürdet. Ist mein Mann derjenige, der ihnen das angetan hat? Ich schlucke den Speichel, der sich in meinem Mund gesammelt hat.
»Also waren Sie spätestens um zweiundzwanzig Uhr wieder zu Hause«, wiederholt O’Shea.
»Das ist richtig«, sagt Paul. Da ist kein Zögern, kein Anzeichen dafür, dass er das Gefühl hatte, eine Schwelle übertreten zu müssen.
Einen verrückten Augenblick lang denke ich daran, aufzuspringen, mit dem Finger auf ihn zu zeigen und ihnen entgegenzuschreien, dass er lügt. Ich sehe vor mir, wie wir plötzlich alle stehen, wie White Paul nach vorn stößt, über den Kaffeetisch, und ihm Handschellen anlegt, aber ich halte den Mund. Ich starre hinunter auf meinen Ehering, spüre, wie er sich in das Fleisch der benachbarten Finger gräbt.
White dreht ihren Druckbleistift um und rammt ihn auf ihr Notizbuch, so dass die Mine in dem billigen Plastikgehäuse verschwindet. »Okay, ich denke, wir haben’s.«
Es wundert mich, dass ich in der Lage bin aufzustehen, dass ich die Tür öffnen kann, ohne dass meine Hände zittern. Paul steht hinter mir in unserer offenen Haustür, und wir schauen den Polizistinnen hinterher. Er legt mir eine Hand auf die Schulter, ein Gewicht, das ich nicht ignorieren kann. Ich schließe die Tür, und wir sehen einander an. Das erste Mal haben wir dieses Haus im Gefolge des Immobilienmaklers betreten; es hat heftig geregnet, der Kanal war hinter den dicht belaubten Bäumen nur undeutlich zu sehen. Am Ende des Rundgangs durch die vielen kahlen, schmuddeligen Zimmer zog sich der Mann in sein Auto zurück, damit wir »ein paar Minuten ungestört« waren, und wir standen genau hier, auf einem Berg von Werbepost, und atmeten die feuchte Luft. Ich wusste gleich, dass das unser Haus ist, dass wir es umbauen und darin eine glückliche Zukunft erleben könnten. Paul hat mir angesehen, wie aufgeregt ich war, als ich erst die hohen Decken und dann erwartungsvoll ihn anschaute. »Du liebst es schon, stimmt’s?«, hat er gefragt. Und so war es. Damals.
Er legt einen Zeigefinger an die Lippen, und dann zwinkert er, langsam, überdeutlich. Danach geht er in die Küche und öffnet mit lautem Ploppen ein Bier, so als hätte er das Ende einer langen, harten Arbeitswoche zu feiern.
Paul und ich haben, wie die meisten Paare, eine Geheimsprache. Dazu gehören nicht nur Wörter und Mienenspiel, sondern auch Gesten. Einmal ist uns in Miami eine Frau begegnet, die aussah, als hätte sie eine Ente auf dem Kopf, so komisch waren ihre Haare gemacht. Über dem einen Ohr baumelten in allen Braunschattierungen getönte Strähnen wie Schwanzfedern, und eine riesige schwarze Spange über dem anderen Ohr bildete den Schnabel. Wenn heute einer von uns beiden jemanden mit einer merkwürdigen Frisur sieht, schaut er den anderen an und bewegt die Ellbogen, als wären es Flügel; der andere nickt dann bestätigend oder schüttelt den Kopf. Und wir haben dieses Zwinkern.
Vor ungefähr zwei Jahren hatten wir ein paar Leute zu einem kleinen Abendessen eingeladen. Andere würden so einen Abend vielleicht Dinnerparty nennen, aber ich scheue vor dem Wort zurück; zu hochgestochen für mich und meine einfache Herkunft. Außerdem kann ich nicht kochen; ich kenne mich mit dem Kühlregal im Supermarkt besser aus als auf dem Wochenmarkt. Ich habe also einen Cottage Pie zusammengerührt und das Ganze nicht zu hoch gehängt, um keine falschen Erwartungen zu wecken.
Lex war da, von Paul mit dem Hinweis angelockt, dass meine Tennispartnerin
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