Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
Leute auch beim Lügendetektor-Test. »So läuft es oft. Sie hatte mit allen möglichen Leuten sehr detailreiche Interviews geführt. Mein Geschäftspartner Lex Wood hat sie dem Produzenten empfohlen, und der hat sie beauftragt.«
White runzelt die Stirn. Irgendetwas versteht sie noch nicht. »Hat sie sich bei Lex auch vorgestellt?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Dann war es ja sehr nett von ihm, ihr einen Auftrag zu geben.«
»Sie hatte tadellose Referenzen, sonst hätte sie den Job nicht gekriegt, aber sie sah auch gut aus. Das spielt für Lex eine große Rolle. Sie ist ihm aufgefallen, als sie bei mir war – wir haben ein Großraumbüro. Er hat einfach gern hübsche Frauen um sich. Das ist vielleicht nicht korrekt, aber so läuft es nun mal beim Fernsehen.«
Das alles erzählt Paul ohne das geringste Zögern. Er fordert sie heraus – sollen sie sich doch an seiner Sicht auf die Dinge stoßen. O’Sheas Lippen werden schmal, ich kriege es mit der Angst zu tun. Jedenfalls geht Paul nicht den Weg des geringsten Widerstands. Ich sehe die scharfen Linien, die von ihrer Nase zu den Mundwinkeln verlaufen, und frage mich, welche langwierigen Kämpfe O’Shea wohl über die Jahrzehnte ausgefochten hat, wie viele Überstunden und noch mal Überstunden sie machen musste, um auf den Posten zu kommen, den sie jetzt hat. Wie es ist, aufgrund von gutem Aussehen in den Genuss von Vorteilen zu kommen, hat sie nie erfahren – ebenso wenig wie ich. »Und fürs Protokoll: Sie hat hervorragende Arbeit geleistet und hatte viele gute Ideen.«
»Worin genau bestand ihre Aufgabe?«
»Sie hat viel Hintergrundrecherche zu Gerry Bonacorsi gemacht.« Als der Name fällt, verzieht O’Shea das Gesicht. »Vor-Ort-Interviews mit Angehörigen zum Beispiel. Und sie war bei einigen der Drehs im Gefängnis dabei.« O’Shea seufzt leicht genervt. »Vielleicht empfinden Sie diese Bemerkung als unpassend«, fährt Paul fort, »aber gehe ich recht in der Annahme, dass Sie mit der Entscheidung der Bewährungskommission nicht einverstanden waren? Bei Ihrer Arbeit, stelle ich mir vor, schätzen Sie es sicher grundsätzlich wenig, wenn Leute vor der Zeit entlassen werden.«
»Das kann man wohl sagen«, mischt White sich ein. Das scheint ihr Thema zu sein. »Lebenslänglich muss lebenslänglich bedeuten. Warum stehe ich sonst überhaupt morgens auf?«
O’Shea schüttelt den Kopf. »Wenigstens weiß die Öffentlichkeit jetzt, womit wir uns so herumschlagen.«
»Das nehme ich mal als Kompliment, wenn Sie gestatten«, sagt Paul. Die Polizistinnen erwidern sein Lächeln. Schon hat er sie für sich eingenommen. »Außerdem hat Melody das Konzept zu Crime Time mit erarbeitet, einer Show, die derzeit läuft. In diesem Zusammenhang hatten wir mehrere Meetings.«
Zwei Köpfe nicken. »Was haben Sie am vergangenen Montagabend gemacht?«
»Ich war mit ein paar Kollegen etwas trinken, und dann bin ich nach Hause gekommen.« Er zählt Lex, Astrid, Sergei und John auf und sagt, in welcher Bar sie waren. »Lex ist als Erster gegangen, so gegen halb zehn, glaube ich, und wir anderen etwas später.«
»Waren Sie mit Ihrem Wagen unterwegs?«
»Ja.«
»Um wie viel Uhr sind Sie nach Hause gekommen?«
Paul zögert und wirft mir einen grimmigen Blick zu. Seine Miene verrät nichts, das kantige Gesicht sieht aus wie immer. Ich registriere die müden Augen von White, die ihn beobachtet. Sie wartet. In seinem Fuß zuckt es. »Um zehn war ich hier.«
Eine meiner Freundinnen arbeitet als Suchtberaterin in einem Krankenhaus. In ihrer Arbeitsplatzbeschreibung kommen Wörter wie »Alkoholismus«, »Medikamentenabhängigkeit«, »Zwangsneurose« oder »Depression« vor, aber eigentlich, sagt sie, geht es immer nur um Scham. Die Scham von Frauen angesichts ihrer Versäumnisse und Unzulänglichkeiten, die dazu führt, dass sie ihre Alkohol- und Drogenprobleme vor ihrem Partner und den Kindern verbergen, oft über Jahre hinweg und meistens sehr gekonnt. Selbst innerhalb ihrer Beziehung wahren sie ihr Geheimnis, und die Angst vor den Konsequenzen, die ein Eingeständnis der Wahrheit hätte, setzt ihnen pausenlos zu. Meine Freundin hat die Aufgabe, der Angst und der Scham und den Geheimnissen auf die Spur zu kommen – wie eine Polizistin. Ich schäme mich im Augenblick für das, was wir hier tun; es liegt mir auf der Seele wie Blei. Zum ersten Mal sehe ich in Melody nicht die Geliebte meines Mannes, die Bedrohung für meine Familie, sondern das Opfer.
Was ich am
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