Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
Wochenende in Paris. Dort machte Paul mir einen Antrag, und geheiratet haben wir, als Josh ein Jahr alt war. Unser Baby sah so süß aus bei der Hochzeit in seinem weißen Matrosenanzug mit blauen Paspeln. Die ganze Zeit während des Gottesdienstes in der hübschen Dorfkirche hat meine Mutter ihn auf dem Schoß gehabt und geschunkelt. Hinterher hat sie geweint und gesagt, das hätte ich sehr gut gemacht.
Zweimal sind wir umgezogen, seit wir zusammen sind – von der Wohnung in ein nettes viktorianisches Reihenhaus und von dort in unser imposantes dreistöckiges Haus in der Nähe des Parks. Paul leitet eine Fernsehproduktionsfirma und ist damit sehr erfolgreich. Es ist bergauf gegangen mit uns. Wenn alles so weiterläuft – wer weiß, was wir uns dann noch leisten? Oder wann Paul sich zur Ruhe setzen kann? Ich arbeite nicht mehr voll. Bevor ich Paul wiedertraf, war ich in der Marktforschung tätig und habe Konsumverhalten analysiert – »herumschnüffeln und dafür bezahlt werden« nannten wir es bei unseren Treffs am Wasserspender –, aber als Josh dann da war, begann ich mich mehr für Pauls Metier zu interessieren und bekam die Gelegenheit, Recherchearbeiten fürs Fernsehen zu übernehmen. Und dabei bin ich geblieben. Jetzt bin ich bei Crime Time, einer wöchentlich ausgestrahlten boulevardmäßigen Show, in der – im Wesentlichen anhand von Material aus Überwachungskameras und Handy-Filmaufnahmen, die Zuschauer einschicken – Verbrecher verfolgt werden, vom kleinen Dieb bis zum Mörder. Obwohl ich drei Tage die Woche arbeite, sagt Paul immer noch, ich probiere ein bisschen herum. Das wurmt mich zwar manchmal, aber es ist schon richtig – meine Domäne ist unser Zuhause, Pauls Domäne ist die Arbeit, und wir begegnen uns in der Mitte, in einer Überschneidung wie bei einem hübschen Mengendiagramm.
Eigentlich sollte es ein Morgen sein wie jeder andere. Ich muss Vesperdosen füllen und zusehen, dass ich Josh und Ava rechtzeitig in die Schule bringe. Normalerweise halte ich einiges aus, aber heute treibt mich das Gestreite der Kinder auf die Palme. Der ganze Küchentisch und ein Stuhl sind mit Milch bekleckert, und Josh wedelt mit seinem übergossenen Comic-Heft, bis alle Bilder hinter Milchrinnsalen verschwinden. Meine Kinder sind total verzogen. Mich beschleicht ein schlechtes Gewissen, weil ich ihnen so viel durchgehen lasse, weil ich im Übermaß an ihnen gutmachen will, was ich in meiner eigenen Kindheit vermisst habe. Paul stört das nicht, er ist sehr nachgiebig.
Ich bahne mir einen Weg durch das Küchenchaos, hebe Pauls Kricketschläger auf, der – von seinem unsportlichen Sohn keines Blickes gewürdigt – immer noch am selben Fleck liegt, und bringe ihn zurück an seinen Platz. Bei dem Gedanken, dass ich Paul um ein Haar damit eins übergezogen hätte, zucke ich zusammen. Er weiß das noch nicht einmal. Wenn es doch nur schon halb eins wäre. Mittagessen mit Jessie. Heute trinke ich Wein.
4
J essie ist nicht meine älteste Freundin, aber die unterhaltsamste. Wir haben uns am Trafalgar Square verabredet, ich dachte, weil sie Lust auf einen kurzen Rundgang durch die National Gallery habe, aber als ich den Fuß auf die erste Stufe setze, dreht sie sich in die entgegengesetzte Richtung. Offenbar ist sie nicht darauf aus, sich impressionistische Meister anzuschauen oder im Museumsshop Touristen anzurempeln, um besser an die Postkarten heranzukommen. »Lass uns draußen essen, das wird nett.«
»Draußen?«
»Ja, wir besorgen uns was und picknicken bei den Löwen.«
»Bist du verrückt? Guck dir mal das Wetter an!«
»Wo ist deine Abenteuerlust geblieben? Na los, du bist schließlich mein Gast.« Sie grinst mich an. Wir haben uns zum Essen verabredet, weil sie vor kurzem auf einer Ausstellung ein Bild verkauft hat und mich, um das gebührend zu feiern, einladen will.
Wir stellen uns an einer lauten Sandwichbude an, rennen beim Überqueren vollgestopfter Fahrbahnen um unser Leben und lassen uns schließlich auf der Umrandung eines der Springbrunnen nieder. Butterbrotpapier flattert im Wind, während wir uns über die Sandwiches hermachen und den Wein in Plastikbecher gießen.
»Und? Wie geht’s?«, frage ich und fische eine Tomatenscheibe aus meinem Schinkentoast. »Läuft’s gut mit der Arbeit?«
Weil sie den Mund voll hat, nickt sie zunächst nur energisch. »Ich habe ein paar Leute getroffen, die möglicherweise etwas kaufen wollen. Vielleicht kommt ja was dabei heraus. Mein
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