Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
mit dem Gedanken, Jessie zu erzählen, was los war, aber das verwerfe ich sofort. Ich glaube, ich werde nie jemandem davon erzählen. Das wird Pauls und mein Geheimnis bleiben, bis dass der Tod uns scheidet – und darüber hinaus.
5
A m Nachmittag ruft Paul an und sagt, ich brauche nicht zu kochen, er bestellt Curry für alle und bringt es von unterwegs mit. Ich argwöhne, dass seine katergeplagten Geschmacksknospen das Kommando übernommen haben und wir anderen da jetzt mit durch müssen. Curry ist nicht gerade mein Leibgericht. Ich decke den Tisch und versuche halbherzig, Josh zum Helfen zu bewegen, aber der begnügt sich damit, sich gähnend unter dem Arm zu kratzen.
Als Paul kommt, springt Ava ihren Papa dermaßen begeistert an, dass er um ein Haar die Curry-Tüte fallen lässt. »He, du Äffchen!«, ruft er, nimmt sie auf den einen Arm und rudert übertrieben mit dem anderen, als könne er nur so einen Sturz verhindern. Ava juchzt, während er, Curry und Kind fest im Griff, von Wand zu Wand taumelt, bis sie schließlich in der Küche sind. »Ab in den Stuhl mit dir, und schon steht das Essen auf dem Tisch. Puh!« Er dreht sich um und schließt mich in die Arme. »Schön, wieder zu Hause zu sein.« Ich entwinde mich ihm. Die Bilder der Nacht stehen mir noch zu deutlich vor Augen, als dass ich Lust hätte, glückliche Familie zu spielen. Paul füllt mir Hähnchen, Spinat und Kichererbsen auf. »Reis, mein Herz?« Er muss Ava übertönen, die Apfelsaft verschüttet hat und vor Schreck aufschreit.
»Mama! Ich bin klatschnass!« Als ich eine beschwichtigende Geste mache, wirft Josh seinen Papadam auf den Tisch und versetzt seiner Schwester einen Stoß. Sie holt tief Luft, um zum ganz großen Geheul anzusetzen, doch Paul springt auf, schnappt sie sich, nimmt sie auf den Schoß und versucht weiterzuessen, obwohl ihr Kopf ihm dabei im Weg ist.
»Das trieft alles!«, mault Josh. Seine Gabel geht mit Geklapper zu Boden.
Paul hebt sein Wasserglas und prostet mir zu. »Auf ein schönes Abendessen bei den Formans«, sagt er und lächelt mich an.
Ava, die an einem Stück Brot knabbert, fragt: »Wie alt bist du, Mami, siebenundzwanzig?«
»Nein, Süße, ich bin viel älter.«
»Einundzwanzig?«
Ich sehe sie milde an. »Nein, ich bin siebenunddreißig.«
»Ziemlich alt«, erklärt Josh, das Kinn in eine Hand gestützt, während er sich mit den Fingern der anderen Reis in den Mund stopft. Ich sehe zu Paul hinüber, doch der starrt ins Leere.
»Ich habe heute Jessie getroffen. Sie hat mich zu einem Flashmob auf dem Trafalgar Square mitgeschleppt.«
Das scheint ihn zu interessieren. »Ach.«
»Ja. Sie hat da mitgemacht. Es war toll. Ein kurzes Stück davon habe ich auf meinem Handy.«
»Das Fernsehen läuft solchen Sachen immer mehr hinterher. Wenn ich nicht aufpasse, bin ich mit meinen Sendungen irgendwann total überholt.«
»Sie hat einen neuen Du-weißt-schon.« Ich sehe ihn vielsagend an.
»Wer ist es diesmal?«
»Er ist verheiratet.«
Er stöhnt. »Der Ärmste.«
»Paul! Wenn schon, solltest du eher seine Frau bedauern. Schließlich ist sie es, die die Midlife-Crisis ihres Mannes ausbaden muss.« Statt zu antworten, senkt er den Kopf und schnuppert an Avas Haar. Ich stehe am Mülleimer, im Begriff, die Tüte mit den Curry-Überresten wegzuwerfen, und schaue ihn an. »Ist alles in Ordnung?«
Von weit her kehrt er zu uns zurück. »Ja, ja natürlich …«
»Was war gestern Abend los, Paul?«
Er weicht meinem Blick aus. »Nichts.«
»Warum bist du so spät gekommen?« Das werde ich ja wohl fragen dürfen, denke ich und fege ein paar Reiskörner vom Tisch in meine Handfläche.
»Ich war mit ein paar Leuten von der Arbeit unterwegs.«
»Was für Leuten?«
Er sieht mich an. »Du quetschst mich aus.«
»Ich will dir helfen.« Mein Ton wird sanfter. Ich will ihm vermitteln, dass ich uns als Team betrachte, dass seine Schwierigkeiten auch meine sind und dass wir sie gemeinsam durchstehen können. Er hebt Ava hoch und pflanzt sie auf den Stuhl neben seinem, so dass er aufstehen und Besteck in die Spülmaschine räumen kann.
»Ich brauche deine Hilfe nicht, es ist alles okay.« Dann läuft er ziellos in der Küche herum, hebt Dinge hoch, schaut darunter – schon zweimal hat er seine Arbeitstasche an einen anderen Fleck gestellt. Unterbrochen wird unser Gespräch, als er an den Schrank unter der Treppe geht und darin herumkramt.
»Was suchst du denn?«
»Nichts.« Er erscheint wieder in der
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