Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
endlich draußen stehe, im Regen, der von den vorbeirumpelnden Lkws aufgepeitscht wird. Ich mache mich auf den Weg nach Hause, drehe mich aber nach ein paar Schritten um. Die Straße scheint menschenleer, und trotzdem muss ich mich ein paar Meter weiter schon wieder umdrehen. Ich werde beobachtet, das spüre ich.
Ich gehe schneller, bleibe dann abrupt stehen und drehe mich wieder um; mein Gewicht ist auf den vorderen Fuß verlagert, die Tasche schlenkert nach vorn. Lieber stelle ich mich dem, was mir Angst macht, als diese gruselige Ungewissheit noch länger auszuhalten. Ich warte; ich weiß ja nicht, was kommt; der Regen lässt die Schatten schwärzer und die Schmuddelecken düsterer erscheinen. Eine dunkle Gestalt löst sich von einer Hauswand und kommt auf mich zu.
»Du bist immer so kampflustig, Kleines.« Es ist Lex. »Wir müssen reden.«
»Hast du mit Paul gesprochen?« Seite an Seite gehen wir zügig weiter.
Lex lacht. »Meinem Partner?« Der Regen wird heftiger; fast übertönt er Lex’ Sarkasmus. »Mein Auto steht hier um die Ecke. Komm, Kate, wir setzen uns ins Trockene.«
»Ich muss nach Hause.« Was ich meine, ist, ich will nach Hause, unbedingt. Seit ich das Büro verlassen habe, bin ich mit Herz und Verstand bei meinen Kindern; nach dem langen Arbeitstag zieht es mich zu ihnen.
»Ich fahr dich. Du bist bestimmt müde nach den vielen Stunden da drin.« Er biegt in eine Querstraße ein und öffnet schon von weitem die Beifahrertür seines Wagens. Ich registriere die Farbe: ein dunkles Auto, wie die Polizei es sucht. »Komm.«
Irgendwas an seinen Gesten lässt mich zögern. Er ist nicht besonders groß, dafür aber drahtig; er hat Kraft … Diese Gedanken schüttele ich genauso ab wie ein paar Regentropfen. Ich übertreibe. Das ist lächerlich. Ich kenne diesen Kerl seit über zehn Jahren, ich bin die Frau seines besten Freundes. Wenn man bedenkt, was passiert ist, ist es nicht verwunderlich, dass er das Bedürfnis hat zu reden.
Er wirft den Motor an und fährt mit quietschenden Reifen los, während ich noch mit dem Gurt beschäftigt bin. »Fast wäre ich reingekommen und hätte mir mal eure neuen Räume angesehen.«
»›Neu‹ ist geschmeichelt.«
»Wer hätte gedacht, dass du eines Tages für mich arbeiten würdest? – Aber dann habe ich mir überlegt, wie es wohl ankommt, wenn ich da einfach reinschneie, ein Vielleicht-Mörder. Womöglich hätten die Leute Angst gehabt – womöglich wäre Livvy weggerannt. Aber du hast keine Angst vor mir, oder, Kate?« Als er nach links auf die Hauptstraße einbiegt, ohne vorher nach rechts zu schauen, schnappe ich nach Luft. »Und wir wissen beide, warum nicht. Stimmt’s?«
Gebannt starre ich auf den digitalen Tacho. »Wie läuft es mit deiner Webseite?«
»Verplemper lieber kein Geld, indem du auch wettest. Schließlich war ich es ja nicht.«
An der nächsten Kreuzung brettert Lex einfach durch, und ein wütendes Hupkonzert verfolgt uns. Ich gebe mir Mühe, ruhig zu bleiben. »Aber woher soll ich das wissen? Jetzt stellt sich heraus, dass du dich an dem Abend mit ihr getroffen hast. Das hast du bisher immer vergessen zu erwähnen. Warum?«
»Sie wollte das. Sie hat gesagt, sie will mit mir über einen Vertrag reden. Woher sollte ich wissen, dass sie noch am selben Abend umgebracht würde?«
»Warum hast du das der Polizei nicht gleich erzählt? Dadurch, dass du es verschwiegen hast, erscheint es ja überhaupt erst verdächtig.«
Lex schnaubt. »Hältst dich wohl neuerdings für eine Kriminalistin? Es gibt keinerlei greifbaren Beweis gegen mich.«
»Also bist du aus der Sache raus.« Plötzlich schlägt er scharf rechts ein und kreuzt zwei dichtbefahrene Spuren, fährt geradewegs auf eine Unterbrechung in der Leitplanke zu, die uns vom Gegenverkehr trennt. Von den entgegenkommenden Lkws, um genau zu sein. Ich sehe, wie einer scharf bremst; aussichtslos auf der regennassen Straße. Lex fährt vor ihm auf die Gegenspur, und wir kommen nur um Haaresbreite davon. Ich höre mich schreien: »Du bringst uns noch um! Halt an!«
Lex fährt nicht in die Richtung, in der ich wohne. Wir rasen nach Nordwesten, raus aus London. »Ich halte an, wenn ich so weit bin.«
»Warum machst du das?« Unwillkürlich stemme ich die Füße gegen den Boden, als könnte mich das bei dem unausweichlichen Aufprall schützen.
»Jetzt kommen wir der Sache schon näher! Warum? Warum bin ich richtig ernsthaft sauer? Lass uns über Gründe reden, Kate. Warum töten
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