Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
in die Kämpfe in Santiago eingreifen zu können, erreicht die »Granma«, mehr durch Zufall als durch planmäßige Navigation, die kubanische Küste.
Statt, wie vorgesehen, bei Niquero, an einem günstigen Landeplatz, wo zudem Freunde warten, treibt das Fahrzeug an der Playa de las Coloradas in Landnähe oder genauer, in ein Sumpfdickicht mit dichtem Unterholz. Es ist unmöglich, alle Munition und alle Waffen zu bergen. Die Yacht kentert, wird von einem Flugzeug entdeckt, ein Fahrzeug der Küstenwacht taucht auf. Maschinengewehrsalven trommeln ins Leere.
Erst nach drei Stunden haben die Revolutionäre festen Boden unter den Füßen.
Ein Bauer lädt die Männer zum Essen ein, aber kaum haben sie sich hingesetzt, da fallen Schüsse. Sie ziehen eilig weiter landeinwärts. Einen Tag lang sind sie ohne Nahrung. Einige der Rebellen verirren sich.
In den nächsten zwei Tagen beeilt sich der Verband, zur Sierra vorzudringen. Man zieht durch die Zuckerrohrfelder der Niquero-Plantage.
Die Stiefel der Männer sind neu und drücken. Die Männer sind durstig und lassen sich dazu verleiten, Zuckerrohr zu lutschen, wovon sie noch mehr Durst bekommen. Die Verirrten schließen wieder zum Haupttrupp auf. Was soll nun geschehen? Keiner weiß es so recht.
Sie werden verraten. Der Scout, der sich am Morgen des 5. Dezember von ihnen verabschiedet, geht zu dem nächsten Posten der Landpolizei. An diesem Tag will keiner der Rebellen mehr weiter. Sie machen Rast in einem Zuckerrohrfeld bei Alegría del Pio, nicht weit vom Gebirge entfernt.
Guevara behandelt gerade wundgelaufene Füße, als plötzlich kleine wendige Aufklärungsflugzeuge auf das Feld herabstoßen. Das Geräusch der Flugzeuge nimmt die Aufmerksamkeit der Rebellen ganz gefangen. So merken sie erst im letzten Augenblick, dass eine Armee-Einheit sie umstellt hat.
Che erzählt:
»Um vier Uhr an diesem Nachmittag, ohne die leiseste Warnung und zu unserer völligen Überraschung, hörten wir den ersten Schuss, gefolgt von einer Symphonie von heulendem Blei über unsere Köpfe hinweg. Wir waren an solch männliches Vergnügen noch nicht gewöhnt. Einer unserer Kameraden fiel, und ich selbst spürte die unerfreuliche Sensation in meinem Fleisch, gleichzeitig von Feuer und Blut getauft zu werden. Wir versuchten, uns davon zu machen, so gut es eben ging, einzeln oder in Gruppen. Keiner hörte mehr auf die Befehle unseres Anführers. Es bestand kein Kontakt zu unseren Offizieren. Wir waren völlig verwirrt. Ich erinnere mich daran, dass mir Major Juan Almeida einen Stoß versetzte, weil ich einfach nicht mehr laufen wollte. Und es war nur seinen drohenden Zurufen zu verdanken, dass ich mich aufrappelte und zu rennen begann. Die ganze Zeit meinte ich, bald sterben zu müssen.
In einer kaleidoskopischen Szene rannten Männer brüllend umher, die Verwundeten schrien um Hilfe, einige der Männer versuchten, hinter den dünnen Zuckerrohrstengeln in Deckung zu gehen, als handle es sich um Baumstämme, während andere vom Schrecken übermannt regungslos dastanden und in dem Lärm des Gefechts ihren Finger auf die Lippen legten.«
Guevara ist leicht verwundet. An den Boden gepresst, denkt er an einen Helden aus einer Geschichte von Jack London, der den Erfrierungstod stirbt. Er will mit Anstand sterben. Das ist alles, was er noch weiß. Das Zuckerrohrfeld beginnt zu brennen, was die Guerillas erst recht entnervt. An einem bestimmten Punkt sieht sich Che vor die Entscheidung gestellt, entweder eine Tasche mit Medikamenten oder einen Kasten voll Munition weiterzuschleppen.
»Dies«, schreibt er, »war vielleicht das erste Mal, dass ich mich dem Dilemma gegenübersah, zwischen meiner Neigung, Arzt zu sein, und meiner Pflicht als revolutionärer Soldat entscheiden zu müssen.«
Er greift nach dem Munitionskasten.
Die Überlebenden der Gruppe suchen Zuflucht in einem Waldgebiet, Che fährt fort:
»Wir schliefen aneinander gelehnt. Alles, außer unseren Waffen und zwei Feldflaschen, die Almeida und ich trugen, war verloren. Unter diesen Bedingungen schleppten wir uns neun endlos sich dehnende Tage dahin. Wir kauten Gräser und rohen Mais. Einige der Mutigeren unter uns, zu denen Camilo Cienfuegos zählte, aßen rohe Krabben. In diesen neun Tagen ging alle Moral zum Teufel. Alle Vorsicht außer acht lassend, näherten wir uns der Hütte eines Bauern, um uns etwas zu essen zu verschaffen. Einige unserer Leute brachen dort zusammen.
Die Neuigkeiten, die wir hörten, waren einerseits
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