Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
in ihm und transzendiert seine physische Person.«
Es kann keinen Zweifel darüber geben, dass Guevara getreu dieser Philosophie in der Realität gelebt hat, dass er für sich radikal versuchte, jeden Unterschied zwischen Vorstellungen und Handlungen aufzuheben.
Sein Menschenbild ist utopisch. Um es wenigstens in sich real werden zu lassen, muss er sich selbst Opfer abverlangen, die fast unmenschlich sind. Er zeigt sich immer wieder dann enttäuscht und empört, wenn andere nicht mit der gleichen Intensität leben, wenn sie Zugeständnisse machen, Kompromisse schließen, wenn sie eher vorsichtig Erreichtes sichern wollen, statt weiter fortzuschreiten auf dem Weg der Mammutaufgabe der Befreiung der Dritten Welt.
Ihn treibt, drängt eine Schuld, die nicht seine individuelle Schuld ist, zu der er aber eine besonders entwickelte individuelle psychische Affinität entwickelt hat: die unerhörte, vom Imperialismus und Neokolonialismus verschuldete Summe menschlichen Elends. Angesichts dieses Elends, das für ihn nicht nur ein abstrakter Begriff, sondern eine tausendfach erlebte reale Erfahrung ist, werden bei ihm alle anderen Wünsche, die gewöhnlich das Leben von Menschen bestimmen, hinfällig: Familie, Besitz, Sicherheit, Macht, Ansehen, Nationalität. Das bedeutet, dass für einen Menschen Freiheit entsteht. Freiheit, trotz aller Beschränkungen und Zwänge, die Ernesto erleben sollte, als er in die Kreise der Mächtigen gelangt. Der Satz: »Das Land, das ich mit meinem Blut tränke, ist das einzige Stück Erde, das mir gehört«, ist nicht nur ein entschlossenes, sondern auch ein bitteres Wort.
Angesichts dieses Elends ...
Guerilla auf Kuba
Die »Granma« ist für den Transport von acht bis zehn Personen gebaut, aber 82 Männer haben sich hineingezwängt, 82 junge Leute, Juristen, Techniker, Ingenieure. Sie leiden unter den unregelmäßigen Bewegungen des Schiffes, das wie ein Korken auf der groben See treibt. Die Pumpe an Bord funktioniert nicht. Eindringendes Wasser muss mit Konservendosen ausgeschöpft werden. Es geht ein Wind von 40 Knoten. Zu essen gibt es nur Fleischkonserven und Vitamintabletten, die Che, einer der fünf Nichtkubaner der Expedition, sparsam austeilt.
Unter diesen Umständen braucht die »Granma« sieben Tage bis zur Küste von Oriente, wo ein Mitverschwörer die Expedition erwartet, der dazu ausersehen ist, den jungen Rebellen den Weg ins Herz des gebirgigen Hinterlandes zu weisen.
Das Gebiet, in dem sie sich vorerst verstecken wollen, die Sierra Maestra, ist die wildeste Gegend von Kuba. Hier erheben sich die höchsten Berge der Insel, unter ihnen der Pico Turquino im Blau-Gebirge. Es ist eine Landschaft von großer Schönheit, die oft die kubanischen Dichter inspiriert hat. Manuel Navarro Luna schreibt in seinen Poemas Mambises:
Das Blaue Gebirge,
der Fluss Cauto:
die Muskelstränge der Ewigkeit,
die uns zeugten.
Das Gebirge wärmte uns
an seinem großen Herzen:
herrlicher Sohn der Unendlichkeit.
Die Sierra ist bewaldet. Die Vegetation ist recht verschiedenartig: Kakteen an den tiefer gelegenen und trockenen Hängen, Regenwälder mit Farnbäumen höher hinauf. Der Kamm verläuft parallel zur Küste und fällt zu ihr hin in seltsam geformten, natürlichen Terrassen ab. Das Gebirge ist etwa 100 Meilen lang und 20 bis 30 Meilen breit. Im Süden wird diese Region von der See begrenzt, im Westen liegt eine Küstenebene, im Osten setzen sich die Gebirge fort, das heißt, die Sierra geht dort in das Kupfergebirge über, das sich zu einer Hauptstraße und zur Bucht von Santiago absenkt.
Es ist ein armer Landesteil. Seit Menschengedenken hat das Land einer kleinen Gruppe von reichen Familien gehört, die für seine zivilisatorische Entwicklung wenig getan haben. Die Grenzen des Grundbesitzes sind umstritten.
Die meisten freien Bauern, die hier leben, haben keine Rechtstitel. Über die Hälfte der Bevölkerung ist nie zur Schule gegangen. Fast die Hälfte aller Neugeborenen kommen unehelich zur Welt. Die Zahl der Arbeitslosen ist hoch. Fast alle Wohngebäude sind Bohios - Hütten mit Erdboden. Eisschränke, fließendes Wasser, ein Bad, elektrisches Licht sind nahezu unbekannt.
Die nächsten größeren Städte liegen im Osten. Es sind dies Santiago mit 160.000 Einwohnern und El Cobre, von den Spaniern 1558 als ein Zentrum des Kupferbergbaus gegründet und bekannt wegen seiner schwarzen hölzernen Madonna, die angeblich im 17. Jahrhundert von zwei Indianern und einem Schwarzen in der
Weitere Kostenlose Bücher