Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
Fallschirmjägerstiefel und eine Baskenmütze, die er selten abnimmt, dazu - fast wie ein Kleidungsutensil - die schwere Monte-Cristo-No.-4-Zigarre erhaben darüber, obwohl Rauchen bei seiner Neigung zu Asthmaanfällen alles andere als zuträglich ist.
Er sucht nicht das Rampenlicht. Wenn Castro ihn dazu drängt, öffentlich zu reden, ist sein Sprechstil nie eine Imitation des Freundes. Er spricht ruhig, mehr als ob er eine Vorlesung zu halten habe, mit dem Zeigefinger zur Betonung in die Luft deutend.
Seine Gedanken spiegeln sich in seinen Schriften; und es sind dies auch die Jahre, in denen er - man fragt sich wann, bei all den Ämtern und offiziellen Verpflichtungen - seine wichtigsten Bücher veröffentlicht.
Noch heute ist Guevaras Name vor allem mit einer bestimmten Theorie über den Guerillakrieg verbunden, wie er sie in dem 1960 in Havanna unter dem Titel La Guerra de Guerillas erschienenen Buch niedergelegt hat.
Drei Thesen werden aufgestellt:
1. Man muss nicht immer darauf warten, bis alle Bedingungen für die Revolution gegeben sind. Der insurrektionelle Herd (und damit ist ein kleiner Guerillaverband gemeint) kann sie schaffen.
2. Im unterentwickelten Amerika ist das Land das entscheidende Terrain des bewaffneten Kampfes. (Das Wort Land wird hier im Gegensatz zur Stadt gebraucht.)
3. Der in den Bergen und Dschungeln kämpfende Partisanentrupp und nicht eine in der Stadt ansässige Partei bildet die militärisch-politische Vorhut einer möglichen sozialistischen, antiimperialistischen und antioligarchistischen Revolution.
Es fällt sofort auf, dass es sich bei diesen Sätzen um formelhafte Verkürzungen der in der kubanischen Guerilla gewonnenen Erfahrungen handelt. Als Fazit des Freiheitskampfes in Kuba sind sie treffend, mit einer Einschränkung: Der Anteil der städtischen Bevölkerung am Sieg wird wohl mit Absicht etwas heruntergespielt und das Bild des bäuerlich-ländlichen Guerillero fast mythisch überhöht.
Aber Guevara formuliert seine drei Thesen nicht nur als Quintessenz seiner Erfahrungen aus der Vergangenheit, sondern auch als Regel, wie der revolutionäre Kampf in Zukunft in den Ländern des unterentwickelten Amerika zu führen sei. Dass sich Guevaras Guerillatheorie eben nicht auf jedes unterentwickelte Land Südamerikas anwenden ließ und dass sie für Afrika erst recht keine Gültigkeit hatte, dafür ist sein eigenes Schicksal eine tragische Probe aufs Exempel.
Wie aber ist es zu dieser Verherrlichung des Guerillero gekommen? Das wird klar, wenn man zunächst noch ein paar Sätze aus Régis Debrays Schrift Revolution in der Revolution zitiert. Sie lauten:
»Jeder Mensch, auch ein Genosse, der sein Leben in der Stadt verbringt, ist, ohne es zu wissen, ein Bourgeois im Vergleich zu dem Partisanen oder Guerillero ... der Stadtmensch lebt als Konsument ... Die Berge proletarisieren Bürger und Bauern, während die Stadt sogar Proletarier verbürgerlichen kann.«
Anders ausgedrückt ließe sich auch sagen: Als Guerillero in Dschungeln und Gebirgen wirft der Mensch seine Verfremdung ab, wird der Mensch neu. Er muss sich neu begreifen. Er muss seine Gewohnheiten, seine Bequemlichkeit aufgeben. Er muss sich höchste Anforderungen abverlangen. Die Notwendigkeit, sich unbedingt aufeinander verlassen zu müssen, schafft eine neue Moral. Das alte Wertsystem, in das sich der Mensch als Konsument und Besitzer von Privateigentum verstrickt sah, existiert plötzlich nicht mehr. Nun sieht er auch ein, wie lächerlich es doch eigentlich war, sich zum Sklaven dieses Systems erniedrigen zu lassen. Er hat die Chance, neu zu beginnen, ein anderer, ein neuer Mensch zu werden und gleichzeitig die Gesellschaft der Neuen Menschen kämpferisch zu verwirklichen.
Nach dem Sieg der Revolution in Kuba wurde versucht, dieses Glücksgefühl, das die Männer der Guerilla trotz aller Schwierigkeiten in der Sierra Maestra empfunden hatten, in die neu zu bauende Gesellschaft einzubringen und diesen Staat zu einer Gesellschaft der Partisanen, der Guerilleros zu machen.
Das drückt sich äußerlich aus: in der Haartracht, in der Kleidung, in der Vernachlässigung alter Umgangsformen. Das setzt sich fort im Bedürfnis, dem Volk immer wieder nahe zu kommen, ohne Übernahme der Mechanik der Demokratie, sondern durch Erfindung anderer Formen der Kommunikation. Man denke an Castros endlos das eigene Denken und die eigenen Gefühle öffentlich darlegende Reden, an die Mitarbeit aller bei der Zuckerrohrernte. Freilich
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