Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
hat vieles aus dem Blickwinkel des alten Europa teils lächerliche, teils naiv-kitschige Züge. Und es muss auch den Guerillaveteranen allmählich deutlich geworden sein, dass man einen modernen Staat nicht im Guerillastil führen und verwalten kann. Trotzdem macht sich der Wunsch, mobil und offen zu leben und zu denken, noch lange im Verhalten Castros und Guevaras immer wieder Luft.
Insofern kann die Wende zum Marxismus im kubanischen System nicht nur durch die machtpolitische Konstellation erklärt werden. Sobald die castristischen Guerilleros Marx sorgfältiger lasen, mussten sie, vor allem in den Frühschriften, eine Tendenz erkennen, die ihrem Verlangen verwandt war, nur dass sie im Werk dieses politischen Denkers im Rahmen höchst differenzierter und weitgespannter Überlegungen auftaucht.
Mit seinem Begriff von der Entfremdung hatte Marx beschrieben, was der Partisan und der Guerillero hatten von sich abfallen spüren. Entsprechend sind Guevaras theoretische Überlegungen zum Begriff »Arbeit«. Seine Versuche, hier und sofort Schluss zu machen mit der Entfremdung, muten freilich grotesk an.
»Arbeit«, so schreibt er, solle nicht länger »eine traurige Pflicht, eine unglückselige Notwendigkeit sein, sondern etwas, das die größte Würde des Menschen ausmacht, soziale Aufgabe, echtes Vergnügen, höchster menschlicher Schöpfungsakt.«
Wie stellt er sich das vor?
»Damit der Mensch wieder von seiner Natur Besitz ergreife«, heißt es in dem Aufsatz Mensch und Sozialismus auf Kuba, »ist es nötig, dass der Mensch aufhört, Ware zu sein, und dass die Gesellschaft ihm ein anteiliges Quantum aushändigt als Gegenleistung für die Erfüllung seiner gesellschaftlichen Pflicht ... der Mensch beginnt, sein Denken von der Angst zu befreien, die durch die Notwendigkeit bedingt ist, seine unmittelbaren Bedürfnisse vermittels der Arbeit zu befriedigen. Er beginnt, sich in seinem Werk wiederzuerkennen und seine menschliche Größe durch den geschaffenen Gegenstand und die verwirklichte Arbeit zu erfassen. Seine Arbeit setzt nicht mehr das Aufgeben eines Teils von seinem Sein in Gestalt verkaufter, ihm nicht mehr gehörender Arbeitskraft voraus...«
Die Arbeit also soll vom materiellen Anreiz getrennt und nur aus sozialer Verantwortung getan werden. Andererseits soll die Gesellschaft die notwendigen - und das heißt human gerechtfertigten - Bedürfnisse des einzelnen befriedigen.
Das zielt darauf ab, dass der einzelne es nicht mehr nötig hat, Besitz zu raffen, und dies mit dem Hinweis begründet, er müsse sich sichern. Gier, Habsucht und Macht werden als Wurzeln kapitalistischer Gesellschaftsordnung bloßgelegt. Diese Laster gilt es in der sozialistischen Gesellschaft neuen Stils zu überwinden.
Che ist sich darüber im klaren, dass sich eine moralisch-sozial orientierte Haltung gegenüber der Arbeit nicht sofort einstellen kann. Um ein solches Bewusstsein zu erreichen, bedarf es neben der Überführung der Produktionsmittel in Gemeinbesitz eines ständigen Lernprozesses. »Die Gesellschaft als Ganzes muss eine gewaltige Schule werden.«
Castro scheint von Guevaras Überlegungen zwar fasziniert, doch seine Haltung bleibt schwankend. Im Theoretikerstreit, der sogenannten »Ökonomiedebatte«, die sich von 1963 bis 1965 hinzieht, ergreift er einmal in einem Aufsatz der Zeitschrift Cuba Socialista Ches Partei. Im Interview mit Lockwood sagt Castro:
»Von einem sehr frühen Alter an muss dem Menschen das egoistische Gefühl, das sich aus der Freude an materiellen Dingen ergibt, wie auch der Sinn für individuelles Eigentum, abgewöhnt werden.«
Aber fast zur gleichen Zeit, im Sommer 1965, Guevara ist schon von der politischen Szene Kubas verschwunden, erklärt er in einer Rede vor Arbeitern, die sich bei einer Zuckerrohrkampagne besonders ausgezeichnet haben:
»Wir können nicht die idealistische Methode wählen, die davon ausgeht, dass sich der Mensch von seiner Pflicht leiten lässt ... denn in Wirklichkeit sieht es nicht so aus. Es wäre absurd, wenn man erwarten wollte, dass die große Masse der Menschen, die ihren Lebensunterhalt durch Zuckerrohrschneiden verdienen, ihr letztes geben, nur, weil es ihre Pflicht ist und gleichgültig, ob sie nun mehr oder weniger verdienen, das wäre zu idealistisch gedacht.«
Nach Guevara sollten alle gesellschaftlichen, und wirtschaftlichen Entscheidungen in der kubanischen Gesellschaft derart getroffen werden, dass sie sofort das Werden des Neuen Menschen fördern. Das
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